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FOTO: MICHAEL ZAPF

HAMBURGER WIRTSCHAFT 05 / 16 

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T

otgesagte leben bekanntlich länger.

Und der kleine, inhabergeführte

Buchhandel wurde schon oft totge-

sagt. Erst machten die großen Filialisten

ihm mit ihrer nicht enden wollenden Ex-

pansion das Leben schwer. Dann lockte

Amazon die Kunden ins Internet. Und zu-

letzt sprach alle Welt nur noch vom E-Book

und dem digitalen Lesen.

Trotz allem: „Das Buch als Medium

hat sich erstaunlich gut behauptet. Es

leidet nicht unter Preisverfall wie Musik

oder Nachrichten“, sagt Hans-Peter Küb-

ler. Und der Geschäftsführer der 1928 ge-

gründeten Libri GmbH muss es wissen.

Denn als Zwischenbuchhändler beliefert

Libri sie alle – die kleinen Stadtteilbuch-

handlungen genauso wie Filialisten wie

Thalia und Onlinehändler wie Amazon.

Rund 3800 unabhängige, inhaberge-

führte Geschäfte, aber auch 1200 Filialen

von Großbuchhandlungen gibt es hier­

zulande. 2014 wurden im Buchmarkt laut

dem Börsenverein des Deutschen Buch-

handels 9,32 Milliarden Euro umgesetzt

– 2,2 Prozent weniger als im Jahr zuvor.

Die Sortimenter, so der Branchenbegriff

für den Vertriebsweg Buchhandlung, hat-

ten einen Marktanteil von 49,2 Prozent;

der Onlinehandel kam auf 16,2 Prozent.

Auffällig war, dass die Umsätze im

Onlinebereich 2014 um 3,1 Prozent zu-

rückgingen, die Sortimenter dagegen nur

1,2 Prozent einbüßten. Im letzten Jahr,

so zeigt der Blick auf vorläufige Zahlen,

scheint es andersherum gewesen zu sein:

Der Umsatz im stationären Handel ging

um 3,6 Prozent zurück, im Gesamtmarkt

jedoch nur um 1,7 Prozent.

Zahlen wie diese sind das eine. Doch

das subjektive Empfinden einiger Buch-

händler zeichnet mitunter ein anderes

Bild. „Zumindest in einem bildungsbür-

gerlichen Stadtteil wie Fuhlsbüttel sind

die Menschen sehr offen für kritische

Amazon-Berichte und Buy-Local-Gedan-

ken“, sagt Torsten Lager, der die Bücher-

stube Fuhlsbüttel 2009 übernommen hat.

Dass man auch in einem schrump-

fenden Markt wachsen kann, zeigt Anne-

rose Beurich. 2008 hat sie stories! am

Straßenbahnring eröffnet; 2011 folgte die

zweite Buchhandlung im Hanseviertel. Im

Eingangsbereich gibt es eine Cafébar und

etwas versteckt hinter weißen Regalen

steht ein langer Holztisch, der eher an

eine Bibliothek erinnert.

Von Anfang an setzte Beurich, die zu-

vor Vertriebs- und Marketingleiterin bei

Libri war, auf eine andere Art der Waren-

präsentation: Die Bücher stehen bei ihr

nicht Rücken an Rücken im Regal, son-

dern werden größtenteils frontal präsen-

tiert. „Man kann in den letzten zwei, drei

Jahren eine Renaissance der kleinen, in­

dividuellen Buchhandlungen feststellen“,

sagt die 52-Jährige. „Die Probleme der

Großen sind gleichzeitig die Chance der

Kleinen.“

Die Großen – das sind Ketten wie

Thalia und Hugendubel. „Flächenfilialis-

ten haben umgeschwenkt auf mittlere Be-

triebsgrößen“, erklärt Kübler. Ein Trend,

so der 47-Jährige, den man im Handel

überall finde, weil die Kosten steigen und

sich das Konsumentenverhalten geändert

habe. Da online alles ständig verfügbar

sei, locke ein enorm breites Sortiment al-

leine eben keine Kunden mehr an.

Nicht nur viel, sondern – aufgrund

des zentralen Einkaufs – meist auch noch

dasselbe bieten die Ketten an, sagt Chris-

tiane Hoffmeister. Von ihren Eltern hat

sie 1991 das Büchereck Niendorf Nord

übernommen. „Der unabhängige Buch-

handel kann in der Sortimentsgestaltung

freier agieren und damit seine Kunden

noch überraschen“, betont die 50-Jährige.

Getreu demMotto „Mainstream kön-

nen alle“ gibt es bei Stephanie Krawehl

im Lesesaal in Eimsbüttel vor allem Bü-

cher von kleinen Verlagen und unbekann-

teren Autoren, die oft auch aus anderen

Kulturkreisen stammen. „Es sind Klein-

ode, die eben nicht an die große Werbe-

glocke gehängt werden, sondern von ei-

nem Publikum entdeckt werden wollen“,

sagt sie.

Als besondere Stärke der Kleinen

betrachtet Hiltrud Klose, Inhaberin der

Buchhandlung Kortes in Blankenese, die

persönliche Ansprache der Kundschaft.

„Wir haben viele Stammkunden“, erzählt

die 63-Jährige, „und die schätzen auch

das Gespräch neben dem Buch.“ Eine

Frage nach dem Wohlbefinden der Fami-

lie hier, eine Diskussion über aktuelle

Ereignisse im Stadtteil und in der Welt

dort: „Das gibt es in der Großbuchhand-

lung oder bei Amazon nicht.“

Apropos Amazon: „Besonders jun-

gen Leuten ist nicht mehr bewusst, dass

es Bücher bei uns genauso schnell und

dank der Buchpreisbindung zum selben

Preis gibt wie bei Amazon“, gibt Beatrix

Holtmann zu bedenken. Sie führt seit 16

Jahren gemeinsam mit Elke Ehlert die

Buchhandlung Seitenweise in Hamm.

Heute bestellt, morgen geliefert: Die-

ses Konzept ist eben keine Erfindung von

Amazon & Co., sondern im stationären

Amazon war beim Onlinebuchhandel und den E-Books Vorreiter. Mittlerweile ist der

Konzern in der realen Welt angekommen: Seit November gibt es in Seattle einen

echten Amazon-Shop. Erlebt der stationäre Buchhandel also gerade eine Renaissance?

David gegen Goliath

Die Kleinen profitieren von

den Problemen der Großen

Was Amazon kann, kann der

stationäre Handel schon lange

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