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HAMBURGER WIRTSCHAFT 05 / 17

MÄRKTE

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FOTOS: ULRICH PERREY

„Das Risiko hält sich in Grenzen“

51,4 Prozent der Türken haben in einem Referendum für die Einführung eines Präsidialsystems

gestimmt. Die HW sprach mit Frank Kaiser, dem stellvertretenden Geschäftsführer der Deutsch-Türkischen

Industrie- und Handelskammer in Istanbul, über die politischen Entwicklungen in dem Land.

Hamburg, Deutschland und die Welt

MÄRKTE

Zunächst sind die Unternehmen auf

beiden Seiten froh, dass die Abstimmung

vorbei ist. Man hofft darauf, dass die emo-

tionale Rhetorik einer sachlichen weicht

und man zum Tagesgeschäft übergeht. Die

Türkei ist auf dem Weg zu einer innova-

tionsgetriebenen Volkswirtschaft. Hierfür

benötigt man internationale Investoren,

die Technologie und Know-how ins Land

bringen. Türkische Unternehmen gelten

als verlässliche Partner; die Vertragstreue

ist hoch. Daher gehen wir nicht davon

aus, dass die rechtliche Sicherheit der In-

vestitionen in der Türkei durch die anste-

hende Verfassungsänderung beeinträch-

tigt wird. Dennoch beobachten bei aus-

ländischen Investoren, die noch nicht in

der Türkei am Markt sind, mit Blick auf

das Referendum eine abwartende Hal-

tung. Das äußert sich auch in rückläufi-

gen Anfragen zum Markteintritt bei uns.

Das heißt aber nicht, dass die Investitio-

nen komplett auf null zurückgegangen

wären. In der Türkei gehen die Geschäfte

weiter; bereits investierte Unternehmen

verfolgen keinen Strategiewechsel.

Eine Hamburger Firma bekam Ende letz-

ten Jahres Probleme, weil ein türkischer

Geschäftspartner beschuldigt wurde, der

Gülen-Bewegung nahezustehen. Sind Ih-

nen weitere Fälle dieser Art bekannt?

Eine Konstellation wie in dem Fall,

den Sie ansprechen, ist mir persönlich

nicht bekannt. Es hat aber Fälle gegeben,

in denen türkische Mitarbeiter in deut-

schen Unternehmen aufgrund ihrer Nähe

zur Gülen-Bewegung den Betrieb verlas-

sen haben. Und es gab auch Fälle, in de-

Frank Kaiser

war nach dem Jura-

studium in Bielefeld, Bordeaux und

Düsseldorf ab 2004 zunächst für

die IHK Düsseldorf tätig, wo er unter

anderem den India Desk und den

Japan Desk betreute. Anschließend

machte er ab 2009 an der Koç Uni-

versity in Istanbul einen Master in

Business Administration. Seit 2011

arbeitet Kaiser nun für die Deutsch-

Türkische Industrie- und Handels-

kammer, wo er als stellvertretender

Geschäftsführer den Bereich Dienst-

leistungen verantwortet.

Zur Person

HW: Es war ein turbulentes Jahr in der

Türkei. Erst der Putschversuch, auf den

die Verhängung des Ausnahmezustands

und die Erosion demokratischer Institu-

tionen folgten. Und dann der Wahlkampf

vor dem Referendum. Die türkische Wirt-

schaft schien davon zunächst relativ un-

berührt; das Bruttoinlandsprodukt wuchs

schwächer als erwartet, aber immer noch

um 2,9 Prozent. Auch die in der Türkei ak-

tiven Hamburger Firmen waren gelassen.

Inzwischen sehen wir, dass der schwache

Lira den deutschen Exportumsatz drückt

und die Erwartungen für 2017 weiter ne-

gativ sind. Haben wir es hier mit einem

normalen Konjunkturzyklus zu tun, oder

hängt das auch mit der verbalen Eskala-

tion zwischen der deutschen und der tür-

kischen Regierung und dem Ausgang des

Referendums zusammen?

Frank Kaiser: Die verbale Eskalation

war vor allem vor dem Hintergrund des be-

vorstehenden Referendums zu bewerten.

Allen Voraussagen nach sollte es eine sehr

knappe Entscheidung werden – und so ist

es ja auch gekommen. Daher wurde die

Debatte polarisierend geführt. Was das

Wirtschaftsklima angeht, wird es darauf

ankommen, das Vertrauen der Wirtschaft

in stabile Rahmenbedingungen inklusive

Rechtssicherheit zu gewährleisten. Den-

noch muss man sagen, dass 2016 – trotz

des sich abschwächenden Wachstums,

der Währungsschwäche und steigender

Inflation – insbesondere für deutsche Fir-

men in der Türkei ein gutes Jahr war.

Wie hat die Wirtschaft auf das knappe

„Evet“ zum Präsidialsystem reagiert?