Oktober/November 2021

HAMBURGER WIRTSCHAFT 50 FOTOS: WWW.MIKESCHAEFER.NET BRÜCKEN STADT China in Hamburg Um 1920 entstand ein Chinatown in St. Pauli. Groß wurde die Exil- Community aber erst, als ein Koch aus Yangzhou 40 Jahre später dabei half, Hamburg zu Chinas Tor nach Europa zu verwandeln. E s sei Zufall, meint Qiuyi Chen, reiner Zufall. Aber er passe perfekt nach Hamburg. In China nämlich, erzählt der Gastronom, spreche man seineWahlheimat „Han Bao“ aus. Und das heißt „Burg der Chinesen“, lacht der Präsident der Hamburger China-Gesellschaft e. V. im Sonnenschein seines Res- taurants „Yu Garden“ in Rotherbaum. Gut geschätzt, leben heute gerade einmal 15000 Menschen aus dem Riesenreich der Mitte in der Hansestadt. Doch eine noch kleinere Zahl belegt, warum sie in Fernost wich- tiger ist als jede andere deutsche Stadt: rund 550. So viele Firmen aus China sind hier angesiedelt, und nirgendwo sonst leben, arbeiten und handeln bundesweit mehr Chinesen als hier. Auch der sino- hanseatische Handel blüht. Jahr für Jahr laufen rund 700 Containerschiffe unter der roten Fahne Ham- burg an. Der Warenumschlag lag 2020 trotz Corona bei 2,4Millionen 20-Fuß-Behältern, weniger als zehn Prozent unter dem der Boomjahre zuvor. Gut 107000 TEU-Standard-Container kamen zudem entlang der Neuen Seidenstraße per Bahn. „Ein Drittel der umge- schlagenen Containermenge stammt aus dem Im- und Export mit China“, rechnet Bengt van Beuningen vom Port-of-Hamburg-Marketing vor. Zuletzt 212 Milliarden Euro Handelsvolumen beider Nationen – ohne die Hansestadt undenkbar. Das „Tor zurWelt“ wurde also nicht nur dank der phonetischen Übersetzung zur „Burg der Chinesen“. Spätestens seit das frühere Entwicklungsland auf dem beabsichtigten Weg zur Weltmacht einen Platz- hirsch nach dem anderen hinter sich lässt, wächst auch die Bedeutung des „Tors nach Europa“, wie Qiuyi ChenHamburgs Rolle für China beschreibt. Die Spurensuche führt nach St. Pauli: In der Schmuckstraße befand sich einst ein winziges China- town. Vor rund 100 Jahren von Matrosen gegründet, brodelte dort bisMitte der 1940er der emigrierte Alltag aus Wasch-, Gar- und angeblich auch Drogenküchen. Doch nach einer Säuberungsaktion der Nazis lebten kaum noch Chinesen in Hamburg – bis ein Koch na- mens Yue Yu-Hai 1960 aus Yangzhou kam, imneu eröff- neten „Tunhuang“ in den Colonnaden Arbeit fand und die Stadt zur kulinarischen Keimzelle chinesischer Hochkultur machte. „Zuvor“, erinnert sich Tochter Ming-Chu Yu, „gab es nur einfache Küchen hier geblie- bener Seeleute.“ Die Feinkost ihrer Ahnen fand chinesi- Qiuyi Chen, Präsident der Hamburger China-Gesellschaft, in seinem Teehaus

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