August/September 2022

sen: Man darf die Natur im Ganzen nicht übernut- zen. Heutzutage umfasst nachhaltigesWirtschaften allerdings nicht mehr nur Umweltschutz, sondern gleichermaßen die wirtschaftliche und soziale Ver- antwortung eines Unternehmens. Das Triangle of Sustainability. Oder die Triple Bottom Line. Dieser Dreiklang ist uns wichtig und nur mit einer Digitalisierung möglich, die über IT und Distribution hinausgeht. Digitalisierung beinhaltet einen Kulturwandel von hierarchischer zu agiler Führung mit anderer Feh- lertoleranz als früher. Das heißt, Fehler im Prozess zulassen, aber schnell korrigieren, Kontrolle abge- ben, Teamarbeit stärken. Vorgesetzte sind heute mehr Enabler und Coaches, die den Teams die Rah- menbedingungen fürs jeweilige Ziel vorgeben. Das Nachhaltigkeitsdreieck ist also ein Viereck geworden? Ja. Digitalisierung schafft, richtig eingesetzt, neue Möglichkeiten, um zum Beispiel nachhaltig klima- neutral zu wirtschaften. Was Ihnen schon wichtig erschien, als Nachhal- tigkeit noch was für Ökos im Strickpulli war. Wie kamen Sie als junger Vorstand eines Groß- unternehmens dazu? Mich haben „Die Grenzen desWachstums“ 1972 auf- gerüttelt. Über diesen Bericht des Club of Rome habe ich damals viel mit dessen Mitgründer und meinem guten Freund Professor Eduard Pestel dis- kutiert. Dadurch wurde mir klar, wie wichtig es ist, Bewusstsein zu schaffen, aber wichtiger noch war mir: zu handeln. Heute gehören Sie selbst dem internationalen Club of Rome an. Wie sah Ihr Handeln damals aus? Wir haben etwa Kartonagen zügig aus Recyclingpa- pier fertigen lassen. Später dann – obwohl viele Dru- cker meinten, das Papier sei dann nicht reißfest – haben wir Kataloge aus Papier ohne Chlorbleiche hergestellt. Nachdem wir den Umweltschutz 1986 als gleichberechtigtes Unternehmensziel mit zuge- hörigem Management installiert hatten, fokussier- ten wir uns Anfang der 90er darauf, Lieferketten umweltfreundlicher zu machen und modernere So- zialstandards zu etablieren. Haben Sie da schon gemerkt, dass Umwelt- und Klimaschutz nicht nur unternehmerische Pflich- ten, sondern auch Chancen mit sich bringt? Das habe ich früh vermutet, wurde dafür aber noch belächelt – teilweise auch innerhalb des Un- MICHAEL OTTO war von 1981 bis 2007 Vorstands­ vorsitzender der heutigen Otto Group; seitdem steht er dem Aufsichtsrat vor. Der promovierte Volkswirtschaftler ist Führungsmit­ glied diverser sozialer und ge- sellschaftlicher Institutionen, da- runter der eigenen Umweltstiftung, und wurde für sein Umweltengage­ ment mit zahl- reichen Preisen ausgezeichnet. Die 1949 als Wer- ner Otto Versand­ handel in Schnel- sen gegründete Otto Group ist einer der weltweit größten Multichan­ nel-Einzelhändler mit 30 Unterneh­ mensgruppen in 30 Ländern – da- runter die Baur- Gruppe, Manufac­ tum, Hermes und Marken wie Quelle und bonprix. Rund 43 000 Mitarbei- tende erwirtschaf­ teten 2021/22 weltweit einen Um­ satz von 16,1 Milliar­ den Euro. Das Familienunterneh­ men widmete sich Umweltthemen bereits in den in den 70er-Jahren. ternehmens. Einige meinten, wir müssen schon Umsatz und Ergebnis sicherstellen, dazu jetzt auch noch auf Umwelt und Soziales achten? Was denn noch alles … Aber peu à peu wurden allen klar, dass die Veränderung einer gesamten Unternehmens- kultur Jahre braucht, aber auch ökonomisch loh- nenswert ist. Denn Mitte der 90er hat auch die Kundschaft den Wandel zunehmend als wichtig er- achtet, was sich auch in Mehrumsätzen nieder- schlug. Seit zwölf Jahren machen wir regelmäßig Umfragen zum ethischen Konsum und stellen fest, dass die Kundinnen und Kunden nicht nur immer besser über Umweltbelange informiert sind, son- dern sie auch einfordern. Können Sie erklären, warum Nachhaltigkeit eher Lust als Last ist? Weil sie nicht nur Kosten mit sich bringt, sondern Win-win-Situationen. Wer etwa seinen Import von Luft- auf Seefracht umstellt, hat zwar zunächst or- ganisatorischen Mehraufwand, spart neben CO2 aber auch bares Geld. Für langfristigen Erfolg muss man heute nachhaltig wirtschaften – weil die Kund- schaft es einfordert, aber auch die bestehenden und potenziell neuen Mitarbeitenden. Nachhaltigkeit als Mittel gegen den Fachkräfte- mangel? Absolut! Wir bekommen immer mehr Bewerbun- gen, die nicht nur unsere digitalen Herausforderun- gen spannend finden, sondern sich auch mit unse- rer Nachhaltigkeitsphilosophie identifizieren. Die Leute suchen auf demArbeitsmarkt nicht mehr nur spannende Arbeit, sondern Sinn oder wie man heu- te sagt: Purpose. → 31 HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE

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