JUNI/JULI 2021

WWW.HK24.DE 39 PERSÖNLICH PHILIPP WESTERMEYER ZweiMonate vorherwar die letzteChance, das zu ver­ kraften, sonst wären schon zu viele Kosten ausgelöst gewesen. So hatten wir irgendwo zwischen 1,5 und 2 Millionen Euro Kosten, die wir schon produziert hat­ ten, dazu halt die entgangenenUmsätze – das Festival machte zuletzt dieHälfteunseresUmsatzes aus. Zum Glück haben wir uns dann nicht in den Winterschlaf begeben und alles stillgelegt, nach dem Motto: „In drei Monaten, wenn Corona vorbei ist, packenwir wieder aus, und dann geht's weiter!“ Statt­ dessen habenwir versucht, schon in demMoment die Firma umzubauen und zu sagen, wir machen's jetzt ganz anders. Das hat uns bis heute geholfen, weil natürlich alles viel länger dauerte, als das jemand ge­ dacht hätte. Wir haben wirklich neue Geschäftsfelder aufgebaut, die auch teilweise zwei, drei Jahre dauern, bis sie überhaupt richtig groß gereift sind – etwa eine neuePlattformfür Software-Bewertungen. Darüber hinaus übernahmen wir noch andere Auf­ gaben, etwa das Impfzentrum in den Messehallen. Dafür wurden wir angesprochen, weil wir durchs Festival über die Jahre sehr gut verstanden haben, wie man die Hallen in größerem Stil betreibt. Gleich­ zeitig mussten wir in kurzer Zeit bis zu 800 Leute einstellen. Daswar einThema, dasmanuns zutraute. Dein öffentliches Auftreten ist durch eine gewisse Entspanntheit charakterisiert. Gibt es Momente, in denen du als Unternehmer dennoch immer noch schlaflose Nächte hast? Damals bei der Absage habe ichmir schonGedanken gemacht. Aber ich habe generell einen ruhigen Schlaf. Ich glaube, all die Jahre Unternehmer zu sein, das ist ein bisschenwie ins Fitnessstudio zu ge­ hen. Als Neuling ohne Muskeln bist du eingeschüch­ tert, aber dann kommen die Routine und das Selbst­ vertrauen. Im Business mache ich das jetzt schon seit so vielen Jahren, und ich habe alle Arten von Situationen erlebt – Firmenverkäufe, Gründungen, alles mögliche –, dass ich da jetzt ein bisschen gelas­ sener geworden bin. Viele Sachen kosten einfach am Ende nur Geld, wenn es blöd läuft. Aber ich glaube, solange die Existenz der Firma unddieArbeitsplätze nicht gefährdet sind, bin ich erstmal entspannt. In der Start-up-Methodik heißt eure Reaktion auf die Pandemie „Pivot“, also strategisches Drehmanöver. Musstest du in deiner Zeit als Unternehmer Pivots schon häufiger vollführen? Nee, in der Größenordnung noch nicht. Wir haben auch vorher immer schon ergänzende Aktivitäten ausprobiert. Was nicht klappt, lässt man einfach wieder sein. Aber in dieser Größenordnung ein Un­ ternehmen mit über 100 Leuten damals umzudre­ hen, das istmir neu, war aber eine super Erfahrung. → PHILIPP WESTERMEYER (42) startete seine Karriere im Jahr 2005 bei Gruner + Jahr als Vor- standsassistent. Danach war er Mitgründer zweier Firmen, die jeweils nach ein paar Jahren an Ex- G+J-Tochter Ligatus respektive Zalando verkauft wurden. 2011 rief er mit Freunden die Messe „Online Marketing Rockstars“ ins Leben. Aus an- fänglich 200 Besucher:innen wurden über 50000. Veran- stalterin des Festivals ist die Ramp 106 GmbH eine digitale Medienplattform, die 2021 auch als Dienstleister beim Impfzentrum in den Messehallen tätig ist und ab 2023 den Ham- burger Fernseh- turmmitbetreiben wird. 2023 wollt ihr auch den Hamburger Fernseh- turm wiedereröffnen. Wie kam die Übernahme des Telemichels zustande? Wir arbeiten mit der Hamburg Messe und Congress und Tomislav Karajicas Home United Management zusammen. Der Impuls kamvon derMesse, die quasi Nachbarn von uns sind. Einen Fernsehturm zu be­ treiben, war bis dahin nichts, was ich irgendwie für mich inErwägung gezogenhatte. Aber als ich es dann näher gesehen habe, fand ich es total spannend. Da haben wir in der Ausschreibung ein Konzept einge­ reicht und am Ende den Zuschlag erhalten. Der Heimvorteil spielte bestimmt auch eine gewisse Rolle. Es soll eine spannende Eventfläche geben, und eine Sozialfläche. DerenAtmosphäre stelle ichmir so ähnlichwie die Strandperle inÖvelgönne vor. Welche Rolle spielt bei deinen Überlegungen Wachstum? Sollen es in fünf Jahren statt 130 260 Mitarbeiter sein, sollen es beim OMR Festival statt 52000 104000 Besucher sein? Das ist eine super Frage, und darüber denke ich auch oft nach: Warum Wachstum, und was bringt er ei­ gentlich? Als Teil derWirtschaft bist du natürlich oft zumWachstum gezwungen. Teammitglieder wollen sich entwickeln, du musst denen Perspektiven zeigen. Machst du es nicht, ergreifen andere die Chance und drängen dich zurück. Dann kannst du nichtmal das jetzt Bestehendemehr halten. Ichhabe das Gefühl, wir haben da eine ganz gute Balance. Aber es wäre für mich auch vollkommen okay, wenn wir mal ein Jahr haben, in demwir jetzt nicht um 50 Leute zulegen. Daswird's auch geben.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz