April/Mai 2023

quartieren dagegen fangen wir durchaus viele – be- sonders Ältere – auf, die sich vom Einkauf mehr wünschen als Bedarfsbefriedung. Ein dörfliches Gemeinschaftsgefühl zum Bei- spiel? Ja, dass man die Namen der Kundinnen kennt, beim Betreten nach dem Befinden gefragt wird und nach demVerlassen noch zumGemüsehöker nebenan ge- hen kann. Lebendige Quartiere können durchaus etwas gegen die Vereinzelung der Menschen indus- trialisierter Nationen bewirken – das habe ich gerade wieder beim Urlaub in Namibia erlebt. Und genau dafür bilden wir auch hierzulande Communitys Gleichgesinnter. Und Sie organisieren gewissermaßen Treff- punkte zum Austausch? Ja, aber nicht in dem Maße, wie es möglich wäre. Quartiere könnten immer noch mehr dafür tun, Nachbarschaftsräume zu werden. Was wir bieten, ist hierfür das rare Gut Zeit. Während die beimArzt oder im Supermarkt knapper wird, kann es sich der kleinere Einzelhandel noch mal leisten, länger zu- zuhören und Ratschläge zu geben. Was tun Sie sonst noch für die Kundenbindung? Es gibt Kundenkarten der Vita Nova, eine Einkaufs- gemeinschaft, in der wir mit 170 Geschäften von 15 Inhabern und Inhaberinnen organisiert sind. Im ländlichen Raumhaben 40 bis 60 Prozent der Kund- schaft solche Karten. Dazu gibt es monatliche Mai- ling-Aktionen mit Geschenkcoupons, die die Leute in unsere Läden bringen, oder 14-tägliche Newslet- ter. Außerdem sind wir im Internet mit Online- Shop und bei Facebook oder Instagram aktiv. Bei TikTok nicht? (lacht) Nein, unsere Kernkundschaft wellnessorien- tierter Frauen über 45 tickt da etwas anders und be- legt, dassReformhäuserwiederTeil einerGegenbewe- gung sind, ein bisschen das Anti-E-Commerce-Modell zum aktuellen Trend des Online-Handels. So was kannSogwirkunghaben.WennQuartiereüber einRe- formhaus verfügen, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass es auch noch einen Fisch- oder Zeitungsladen gibt, dass danochechtesLebenstattfindet, anstatt nur Zeit zuHause an den Rändern der Arbeit. Gibt es ideale Standorte für solche Einzelhan- delsquartiere mit Reformhaus? Schwer zu sagen, aber hohe Kaufkraft ist gewiss för- derlich – und ein alternatives, nachhaltiges, kreati- ves Publikum wie in Ottensen, Eppendorf, der Schanze. Darüber hinaus braucht es aber auch gute Frequenz mit großer Laufkundschaft, also vergli- chenmit dem ländlichen Raum etwas höhere Bevöl- kerungsdichte, ohne überfüllt zu sein. Das ist für jedes Viertel von Vorteil. Aber all dies steht und fällt grundsätzlich mit dem Personal. Weil das schwer zu finden ist? Zumindest solches mit hoher Fachkompetenz und Leidenschaft für die Sache. Erfahrung ist ungeheu- er wichtig für jeden Standort. Unser Filialleiter in Husum zum Beispiel ist nicht nur seit Jahrzehnten mit vollem Herz bei der Sache, sondern in der gan- zen Stadt bekannt wie ein bunter Hund. Das gilt aber auch für unsere Filialleiterinnen in Volksdorf oder Blankenese – ach, eigentlich überall. Wie finden Sie denn gutes Personal? Auch das ist schwieriger geworden, aber nicht un- möglich. Ich habe selbst im Reformhaus gelernt. Wir hatten teilweise 20 geeignete Azubis, das finden Sie heute kaum noch, obwohl wir sie sofort einstel- len würden. Deshalb nehmen wir gern Wieder- und Quereinsteigerinnen, zumBeispiel Heilpraktikerin- nen, die nicht nur Geld verdienen, sondern anderen helfen wollen, das macht nämlich großen Spaß. → 31 WWW.HK24.DE

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