Februar/März 2023

Auf dem Podium der Veranstaltung saßen Prof. Detlef Garbe, Dr. Malte Heyne, Prof. Kirsten Heinsohn, Dr. Sebastian Justke, Hannah Rentschler und PD Dr. Claudia Kemper (v. li.). Die Bücher sind im Buchhandel erhältlich und in der Commerzbi- bliothek einsehbar: • Claudia Kemper und Hannah Rent- schler: „Hand- lungsspielräume und Verantwort- lichkeiten der Han- delskammer Ham- burg in der NS- Zeit. Einordnungen und biographische Annäherungen“, Hamburg 2023, Metropol-Verlag, 26 Euro • Sebastian Just- ke: „Ein ehrbarer Kaufmann? Albert Schäfer, sein Un- ternehmen und die Stadt Hamburg 1933–1956“, Hamburg 2023, Metropol-Verlag, 24 Euro Weitere Informa- tionen zu den Bü- chern und der Ver- anstaltung finden Sie unter www. hw-mag.de/ns-zeit und www.hw-mag. de/meilensteine (mit Fotogalerie). JAN FREITAG ten. Während die erste Untersuchung die Tätigkeit des langjährigen Kammerpräses Albert Schäfer (1946–1956) und der von ihm geleiteten Phoenix Gummiwerke AG in der NS-Zeit kritisch analysiert, erkundet die zweite, welche Handlungsspielräume der Kammer in der NS-Zeit zur Verfügung standen undwie siemit demSystemverwobenwar. Die Historikerinnen PD Dr. Claudia Kemper und Hannah Rentschler kommen dabei zu einem eindeu- tigen Schluss: Als Teil des Wirtschaftssystems habe die Kammer aktiv an einer Politik mitgewirkt, die „Propaganda, Ausgrenzungen, Beteiligung an ,Arisie- rungen‘ sowie Organisation von Zwangsarbeiten be- inhaltete“. Und weiter: „Gerade weil Hamburgs Groß- und Außenhandelsschwerpunkt so schlecht zur Rüstungs- und Autarkiepolitik des Nationalsozialis- mus passte, engagierte sich die Handelskammer be- sonders intensiv imHerrschaftsapparat.“ Wie auch die 21 „biographischen Skizzen“ im zweiten Teil des Buchs zeigen, waren dabei Kammer- mitarbeiter auf nahezu jeder Funktionsebene aktiv mit dem NS-Regime verstrickt und maßgeblich daran beteiligt, dass sich die Kammer „zum wirt- schafts- und handelspolitischen Arm des Regimes“ entwickelte. Sich der Verantwortung stellen Mit ihrer Einschätzung zur damaligen Rolle der Kam- mer stieß Kemper auf offene Ohren bei den Ehrengäs- ten der Veranstaltung, unter anderem Landesrabbi- ner Shlomo Bistritzky und dem bei Erinnerungspro- jektensehr engagiertenEx-PräsesNikolausW. Schües. Die Verstrickungen der Kammer mit der NS-Gewalt- herrschaft waren dann auch Thema der von FZH-Vize Kirsten Heinsohn geleiteten Podiumsdiskussion, an der neben den drei wissenschaftlich Verantwortli- chen Kammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Malte Heyne und derHistoriker Prof. Detlef Garbe teilnahmen. Die Forschungsergebnisse, unterstrich Garbe, der 30 Jahre lang die KZ-Gedenkstätte Neuengamme geleitet hat, seien nicht nur akademisch relevant. Dank ihrer Unabhängigkeit vermittelten sie fun- dierte Einblicke in die damaligen Strukturen und könnten exemplarische Hinweise auf heutige Unter- nehmensethik geben. Dabei hütet sich die Studie vor pauschaler Schuldzuweisung. Die Kammer konnte „schon we- gen ihrer Funktion, Sichtbarkeit und Vernetzung ei- ner Integration in das NS-System nicht entgehen“, heißt es dort. Allerdings seien Institutionen nie nur Teil eines Systems, unterstrich Claudia Kemper auf dem Podium: „Sie sind das System.“ Umso wichtiger sei es zu betonen, so Fachkollege Garbe, dass es bei der Bewertung historischer Schuldweniger um justi- ziable Verbrechen gehe, sondern vielmehr umdemo- kratische, humanistische, also zeitlose Werte an sich. Und daran habe es damals eklatant gemangelt. Wie Malte Heyne in der angeregten Podiums­ diskussion hervorhob, sind die neuen Studien „ein Meilenstein im Aufarbeitungsprozess, der neue Per­ spektiven schafft“. Denn es gehe darum, aus der Geschichte zu lernen, statt sie zu verdrängen – und darum, die scheinbaren Anforderungen des herr- schenden Zeitgeistes stets an ethischen Grundwer- ten zumessen. Die Handelskammer lädt die Wissenschaft ein, ihr Archiv für weitere Forschungsarbeiten zu nut- zen. Schon die jetzigen Ergebnisse seien, so ergänzte Kirsten Heinsohn, nicht nur Meilen-, sondern auch Stolpersteine: „Erst vor der Tür, jetzt imHaus.“ Am Holocaust-Gedenktag wurden Rosen vor den Stolper- steinen niedergelegt, die an 13 von den Nazis ermordete jüdische Kammermitglieder des Ehrenamtes erinnern. WWW.HK24.DE 17 KAMMER GEBURTSTAG

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