Februar/März 2023

Ist die Viertagewoche bei vollem Gehalt sinnvoll? Eine zeitgemäße Alternative Patrick Zimmermann (40), Geschäftsführer moinAI/knowhere GmbH Wir sind in eine Viertagewoche gewechselt, weil Digitalisierung und Automatisierung dazu führen, dass wir in weniger Wochenstunden die gleichen Ziele erreichen. Die Viertagewoche hat für beide Sei- ten – Arbeitgebende und Arbeitnehmende – viele Vorteile. Für mich als Arbeitgeber bedeutet sie eine erhöhte Produktivität und Zufriedenheit der Mitar- beiter:innen, da diese mehr Zeit für Erholung und persönliche Verpflichtungen haben. Wir glauben, dass Mitarbeitende, die regelmäßig Zeit für sich selbst haben, weniger gestresst und dafür motivier- ter sind, was wiederum zu weniger Krankenständen und höherer Qualität der Arbeit führt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir mit diesem Arbeitsmodell auch die Motivation der Mitar- beitenden stärken und sie fester an die Firma binden möchten. Eine Viertagewoche kann zu einer Win- win-Situation führen, indemLeistung und Zufrieden- heit derMitarbeiter:innen verbessert und parallel die Kosten für Krankenstand und Fluktuation reduziert werden. Zugleich erhalte ich Feedback von unserem Team, das zeigt, dass die Viertagewoche für alle Betei- ligten sinnvoll ist: Sie ermöglicht mehr Zeit für die Fa- milie, für Hobbys und andere Interessen und führt so zu einer ausgeglichenerenWork-Life-Balance. Insgesamt stellt die Viertagewoche bei vollem Gehalt eine zeitgemäße Alternative dar. Es ist wich- tig, dass wir uns an die sich verändernden Bedingun- gen anpassen und innovative Arbeitsmodelle auspro- bieren, um Wohlbefinden und Leistung unseres Teams zu steigern. Produktivität und Leistung hän- gen letztlich nicht nur von der Zeit ab, die zur Verfü- gung steht, sondern werden maßgeblich auch durch Motivation und Freude an der Arbeit beeinflusst. Also ja, ich finde eine Viertagewoche bei vollem Ge- halt sinnvoll. Das Maß der Mitte halten Rafael Robert Pilsczek (54), Gründer und Inhaber PPR Hamburg Seit den 1960er-Jahren ist die Fünftagewoche mit 40 Wochenstunden bewährt. Erst seit kurzer Zeit wächst die Forderung nach flexibleren Angeboten, um die vielfältigen Modelle der heutigen Gesellschaft zu be- rücksichtigen. Doch was bedeutet diese Vielfalt? Zah- len Unternehmen auch bei weniger Stunden gute Gehälter?Gibt es eineWahlmöglichkeit? Die Aussage, eine Reduzierung der Arbeitszeit hätte eine gute Auswirkung auf Kreativität und Pro- duktivität, ist nicht abgesichert. Dass längere Erho- lungsphasen einer Viertagewoche eine Stresspräven- tion seien, ist ebenso strittig. Die „Deutschland AG“ hat viel Wohlstand und Freizeit in vielen Branchen er- bracht. Wer beim bewährten Modell bleiben möchte, kann auch dem Industrieverband begegnen, der un- längst eineErhöhung der 40-Stunden-Wocheund eine weitere Anhebung des Renteneintritts forderte. Viele Firmen fürchten höhere Kosten, wennMit- arbeiter weniger im Einsatz sind. Und Arbeitnehmer fürchten einen Karriereknick. Auch der Urlaubsan- spruch käme in Schwierigkeiten. Ich plädiere dafür, gute Arbeitsplätze an fünf Tagen zu schaffen; in allen Bereichen, in denen dies möglich ist. In bestimmten Branchen wie in der Pflege geht es vor allem erst ein- mal darum, gute Arbeitsplätze im alten Sinne zu schaffen. Um Überstundenabbau, weniger Wochen- endarbeit, pünktlichen Feierabend, 30 Urlaubstage. Unternehmen stehen im harten Wettbewerb. Das E (Einnahmen) muss stets höher sein als das A (Ausga- ben). Dazu gehört auch, kurzfristigenVerlockungen zu widerstehen, die sich nicht rechnen. Krisen kommen stets. Das ist systemimmanent. Und dann Mitarbeiter zu halten, das ist die Kunst und die Aufgabe eines Ar- beitgebers. Daher halte ich eine Viertagewoche bei vol- lem Gehalt nicht für sinnvoll. Ich bin für eine gute Fünftagewoche. Das ist das derzeitigeMaßderMitte. Die Corona-Krise hat Spuren am Arbeitsmarkt hin- terlassen. Resultat: Veränderte Ar- beitsmodelle lie- gen im Trend. Ne- ben Homeoffice rückt zunehmend die Viertagewo- che in den Fokus – ein Modell, bei dem die gleiche Arbeitszeit an vier statt wie üblich an fünf Tagen geleis- tet wird. Laut einer Statista-Umfrage aus dem vergan- genen Jahr kön- nen sich dieses Modell viele Er- werbstätige (77 Prozent) gut vor- stellen. Unter Er- werbstätigen aus der Industrie gab rund ein Viertel der Befragten an, eine Viertagewo- che auch dann zu befürworten, wenn dadurch finanzielle Einbu- ßen entstehen würden. Bei Be- fragten aus Handel und Vertrieb fiel der entsprechen- de Anteil mit rund neun Prozent weitaus geringer aus. FRANK SCHLATERMUND 18 FOTOS: HELEN FISCHER, BETTINA MEYER PRO & KONTRA HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE

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