Dezember 2021/Januar 2022

HAMBURGER WIRTSCHAFT 30 PERSÖNLICH CORNELIA POLETTO macht mir persönlich, wie wir über die bestenMonate des Jah­ res um Weihnachten rumkommen. Mein Reservierungsbuch ist voll, aber die Zahl der Absagenwächst. Was bringt es Ihnen in puncto Krisenbewältigung, dass Sie rund zwei Jahre vor der Pandemie ein Restaurant in Shanghai eröffnet haben? Beide Städte haben ein ähnlich vielfältiges gastronomisches Angebot gehobener Küchen, von denen viele nach den ersten Lockdowns als erste wieder aufmachen durften, weil sie die strengen Hygienevorschriften leichter erfüllen konnten. Was Hamburg von China unterscheidet, ist aber definitiv, dass es in China viele Restaurants gibt, in denenman hervorragend essen kann, aber besser nicht hinter die Kulissen guckt. Weil es äu­ ßerst intim ist, von Fremden bekocht zu werden, bin ich durch die Erfahrung mit China daher noch mehr als vorher für Transparenz durch offene Küchen. Kann die Gastronomie wie der Esstisch, an dem selbst Geg- ner ins Gespräch kommen, da eine Brückenbauerin sein? Gemeinsam an einem Tisch zusammenzukommen, bedeutet die Gepflogenheiten anderer Kulturen kennenlernen und so­ gar verstehen zu können. Und so, wie die Chinesen offen sind für unsere Küche, sindwir es für ihre. Ändert sich unsere Küche durch die Pandemie auch in- haltlich, also kulinarisch? Ich glaube schon, dass sich besonders in der gehobenen Gas­ tronomie gerade viele fragen, ob sie 13, 14 Stunden am Tag auf diesem Niveau arbeiten wollen oder nicht ebenso zufrieden wären, wenn sie eine frische, nachhaltige, regionale Kantine führen. Das hat aber eher mit dem Klimawandel als der Pande­ mie zu tun und betrifft alle Branchen. Während es bei Heinz Winkler, wo ich meine Ausbildung gemacht habe, das Größte war, fürs Silvestermenü weißen Spargel aus Peru oder Gänse­ stopfleber zu servieren, spüre ich heute, wie Köchinnen und Köchen bei Gemüse aus der Region das Herz aufgeht. Luxus wird heute anders definiert als damals. Kann man ein gut geführtes Restaurant mit einem gut ge- führten Konzern vergleichen? Da ich mit Rüdiger Grube verheiratet bin, der, als ich ihn ken­ nenlernte, noch Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn war, kann ich Ihnen sagen: Obwir uns nun über sein Unterneh­ men mit mehr als 300000 Mitarbeiter:innen oder über meins mit 20 unterhalten haben – die Probleme sind immer die glei­ chen und lassen sich sehr, sehr gut vergleichen. ZumBeispiel? Der Fisch stinkt vom Kopf her, das gilt für Firmen jeder Größe. Gute Führung ist alles, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbei­ ter sind mir genauso wichtig wie das Wohl meiner Gäste, hier wie dort hilft es da ammeisten, sich in vertrauter Atmosphäre offen an einen Tisch zu setzen und die Belange der anderen ge­ nau anzuhören. Auch wenn unsere Margen ungleich kleinere sind, ähneln sich die Themen extrem. Eines, das beide Branchen betrifft: Je höher man in der Hierarchie nach oben blickt, desto weniger Frauen findet man dort. Von 296 Sterneköchen sind derzeit 14 weiblich. Wenn es nicht sogar schonwieder weniger geworden sind. Woran liegt das? So traurig es ist: Wer ganz oben mitspielen will, muss mehr als 100 Prozent geben, die bei mir nurmöglichwaren, weil ich über meinem ersten Restaurant gewohnt habe. Wenn das Baby­ phone ging, ist mein damaliger Mann ebenso selbstverständ­ lich hochgegangen wie ich. Weil das leider die Ausnahme ist, schaffen es viele Frauen in der Spitzengastronomie nur, wenn sie Teil einer gastronomischen Familie sind. Wertschätzung ist für viele mindestens so wichtig wie gute Bezahlung.

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