Dezember 2020 / Januar 2021

HAMBURGER WIRTSCHAFT 52 FOTOS: PRIVAT, MATTHIAS STOLT PRO & KONTRA Braucht Hamburg mehr Fahrradstraßen? Ist eine Straße als Fahrradstraße ausgewiesen, ist sie ausschließlich dem Radverkehr vorbe­ halten – Zusatz­ zeichen regeln Ausnahmen. Die Höchstgeschwin­ digkeit beträgt 30 Stundenkilometer. Der Radverkehr darf weder gefähr­ det noch behindert werden, das Ne­ beneinanderfahren mit Fahrrädern ist erlaubt. An Kreu­ zungen und Ein­ mündungen gilt rechts vor links, wenn es nicht anders geregelt ist. Anlieger dürfen Fahrradstraßen mit ihren Autos nutzen, auch Geschäfte müssen erreichbar bleiben. Ja, wir sollten mehr von ihnen einrichten Tom Jakobi (38), Vorstand für Verkehrspolitik ADFC Hamburg Hamburg hat sich aus vielen gutenGründen für eine Verkehrswende entschieden: Wir wollen das Klima schützen, Lärm und Schadstoffe vermeiden, Mobi­ lität durch ÖPNV, Fahrrad und Wege zu Fuß stär- ken – und damit auch die Lebens- und Aufenthalts­ qualität erhöhen. Erfreulicherweise fahren immer mehrMenschen inHamburg Rad. Komfort und Sicherheit sind aber vielerorts noch mangelhaft. Dem Fahrrad in Wohnstraßen Vorrang zu gewähren und zugleich Fußgängern mehr freien und geschütztenRaumzu bieten, bringt Sicherheit und Komfort für Fuß- und Radverkehr. Insbesondere Schulradwege werden täglich von besonders schutzwürdigen Verkehrsteilnehmern genutzt und können zu Fahrradstraßen werden. Odermuss sich dort einAuto an den Kindern vorbei­ drängeln dürfen, nur um zehn Sekunden schneller die Hauptstraße zu erreichen? Ich glaube nicht. Manchmal haben Menschen zunächst Vor­ behalte gegen Veränderungen. Bei Fahrradstraßen denkt manch eine(r) zuerst an vermeintliche Behin­ derungen des Kfz-Verkehrs oder wegfallende Park­ plätze. Solche Vorbehalte lösen sich schnell auf: Parkmöglichkeiten können selbstverständlich – wie zum Beispiel in der Lortzingstraße – auch in Fahr- radstraßen erhalten bleiben. Fahrradstraßen werden auch in Zukunft durch Neben- und Wohnstraßen geführt, wo es keine Staus und keine Behinderungen des Durchgangs­ verkehrs gibt, dafür aber viele Fußgänger, Radler und Anwohner, die sich gemeinsamüber die neu ge­ wonnene Ruhe und Lebensqualität freuen. Davon profitieren auch Geschäfte und ihre Kunden. Hat schon einmal jemand von Anwohnern einer Fahr­ radstraße gehört, die diese am liebsten wieder los­ werden würden? Wenn Fahrradstraßen erst einmal da sind, möchten alle sie auch behalten. Wir sollten daraus lernen undmehr von ihnen einrichten! Nein, Hamburg braucht mehr Fahrradschnellwege Bernd Kroll (63), Sprecher „Interessengemeinschaft rund um den Mühlenkamp“ Hamburg braucht keine Fahrradstraßen, sondern Hamburg braucht im Straßenverkehr ein rück­ sichtsvolles Miteinander. Das gilt sowohl für Radler als auch für Autofahrer. Geh- und Radwege sind keine Parkplätze, auch nicht „mal eben kurz“. Fahrradstraßen doktern nur an Symptomen herum, statt die Ursache zu beheben: Die Stadt hat zu viel Verkehr auf engstem Raum. Fahrradstraßen führen dazu, dass der Verkehr in die Nachbar­ straßen verlagert wird. Das ist extrem unfair, unsozial und durch nichts zu rechtfertigen. Auch bewirken Fahrradstraßen deutlich mehr Aggressi­ vität unter den Verkehrsteilnehmern, denn nicht selten heißt es dort: „Wemgehört die Straße?“ Beispiel Gertigstraße: Die Autos werden aus der Geschäftsstraße in umliegende Wohnstraßen wie die Semperstraße verlagert. Dort aber befinden sich auch unsere Grundschule, zwei Spielplätze und Kitas. Statt Fahrradstraßen für wenige brauchen wir Tempo 30 für alle in Wohn- und Nebenstraßen. Beispiel Bellevue: Künftig sollen dort keine Autos und Busse mehr fahren. Schön für diejenigen, die dort wohnen. Aber dann müssen alle Fahrzeuge über Poelchaukamp, Dorotheenstraße undMühlen­ kamp ausweichen – Pech für die, die dort wohnen. Beide Baumaßnahmenwerden auch nicht koor­ diniert. Es sieht so aus, als ob das Chaos in Winter­ hude wieder gewollt ist. Vernünftige Planungen sollten immer mit allen betroffenen Bürgern gemeinsam vorgenommen werden und nicht gegen sie. Ob Hamburgs Verwaltung und Politik das noch einmal lernen? Fahrradstraßen sind zudem vollkommen über­ flüssig: Schon jetzt dürfen Radler zu zweit auf der Straße nebeneinander fahren – Autofahrer müssen stets mit einem Abstand von 150 Zentimetern über­ holen. Unsere Stadt braucht nicht mehr Fahrrad­ straßen, sondernmehr Fahrradschnellwege.

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