Oktober/November 2022

Ist der Industriestandort Großstadt noch zeitgemäß? Die beiden externen Faktoren Nachbarschaft und An­ sehen der Chemieindustrie sind aus meiner Sicht in der Großstadt schwieriger, weil es dort viel mehr Inte­ ressenträger gibt. Ich bin seit über elf Jahren Ge­ schäftsführer bei Synthopol Chemie mit Sitz in Buxte­ hude, wir sind ein führender europäischer Kunstharz­ hersteller für die Farb- und Lackindustrie. In der Chemiebranche arbeite ich seit fast drei Jahrzehnten und kenne sowohl ländliche als auch citynahe Indust­ riestandorte. Meine vorherigen Arbeitsplätze hatte ich unter anderem in Wandsbek, ich war auch lange in Frankfurt und drei Jahre in Frankreich. Dort waren wirmit sehr kritischenNachbarnkonfrontiert undBe­ hörden, dieVorhaben teilweisenicht genehmigten. Als Chemieunternehmen unterliegen wir dem Bundesimmissionsschutzgesetz und vielen weiteren Umweltgesetzen. Die sind zwar überall gleich, aber nach meiner Erfahrung ist die Handhabung in einer Großstadt häufig schärfer als imUmland, weil die Risi­ ken höher sind. Wenn es in Hamburg mitten in der Stadt einen Störfall mit Stoffaustritt gibt, sind viel schneller Nachbarn betroffen und Sachschäden zu be­ fürchten, als das hier der Fall ist. Unser Familienunternehmen wurde 1957 in Ham­ burg gegründet, aber der Standort war schnell viel zu klein. 1966 zog Synthopol nachBuxtehude um. Mittler­ weile ist unser Gelände über 100 000 Quadratmeter groß, weil wir zwei Nachbargrundstücke kaufen durf­ ten. Wir haben hier als Arbeitgeber mit 200 Arbeits­ plätzeneinganz anderes Standing als inderGroßstadt. Für die Fachkräftegewinnung ist das Argument der Le­ bensqualität relevant, vor allem bei höher qualifizier­ ten Positionen profitieren wir von der Nähe zu Ham­ burg. EinPlus bei internationalenGeschäften ist unser schneller Zugang zumHafen, in denUSAoder inChina wirdunser Standort als Teil vonHamburg gesehen. Schon in der guten alten Zeit haben sich industrielle Standorte dort angesiedelt, wo hinreichend Ressour­ cen zur Bearbeitung und Schaffung industrieller Leis­ tungen vorhanden waren – in der Regel in Ballungs­ zentren. Nur dort konnten die komplexen Strukturen eines vertikal aufgestellten Industrieunternehmens bestens bedient werden. Vertikal und horizontal ver­ netzte Fachkräfte werden auch heute für qualitativ hochwertige Arbeitsleistungen benötigt und sind in der Großstadt reichlich vorhanden. Spezialisten las­ sen sich in notwendiger Fülle und differenzierter Nachfrage nur schwer auf demLande finden. Vorteile bei Umweltauflagen können in der Stadt nicht unterstellt werden, da unsere Gesetze überall gleichermaßen erfüllt werden müssen. Auch Verfüg­ barkeit von Energie spielt bei Industrieunternehmen eine entscheidende Rolle, ist in ländlichen Gebieten je­ doch nur schwer zu bekommen. Zugang zu Partner­ schaften für fachlichenRat erhältman auchwesentlich leichter im städtischen Umfeld. Ob Juristen, Ingeni­ eure, Verkäufer oderWerker – alle stehenhier reichlich zur Verfügung, und man vernetzt sich entsprechend leichter. Ebenfalls von Vorteil ist die Zusammenarbeit mit vielen städtischen Institutionen wie Universitäten, Forschungseinrichtungen und Behörden. So lassen sich Umweltfragen, Brandschutz oder soziale Fragen sehr viel schnellerundaktuellerbearbeiten. Digitalisierungsspezialisten wünschen sich ein arbeitsfreundliches Umfeld. Auch hier sind Städte durch ihr kulturelles Angebot, Sport und viele andere Freizeitaktivitäten einfach im Vorteil. Als Unterneh­ men mit 150-jähriger Tradition, globaler Verantwor­ tung für 1500 Mitarbeiter und einer hochspezialisier­ ten, weltweit führenden Industrielackfabrik am StandortWilhelmsburg fühlenwir uns imstädtischen Umfeld bestens aufgehoben. In der Großstadt sind die Risiken höher Dr. Henning Ziemer (55), Geschäftsführer Synthopol Chemie, Buxtehude Man vernetzt sich in der Großstadt leichter Michael O. Grau (76), Geschäftsführer Mankiewicz, Wilhelmsburg Das verarbeitende Gewerbe ist bei Baugrundstücken in der Metropol- region Hamburg (MRH) eine wichtige Nachfragegruppe. Laut Gewerbeflä- chenmonitoring- Bericht 2021 wurden in diesem Wirtschaftszweig 72 Hektar Bauland mit durchschnitt- licher Grund- stücksgröße von 16 367 Quadrat- meter veräußert. Das Flächenange- bot für industrielle Nutzungen beträgt 816,9 Hektar, knapp die Hälfte in Mecklenburg-Vor- pommern. Rund um Hamburg ist die Auswahl gering, in der Stadt umfasst sie 71,7 Hektar. Mit dem Gewerbe- flächen-Informa- tionssystem GEFIS ( www.t1p.de/ gefis-immo ) l assen sich direkt vermarktbare Flächen finden. Die Handelskam- mer ist an GEFIS beteiligt. Weitere Infos finden Sie in der HW Online: www.hw-mag/ mrh-flaechen KERSTIN KLOSS 40 HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE FOTOS: MANKIEWICZ GEBR. & CO., SYNTHOPOL CHEMIE GMBH & CO. KG PRO & KONTRA

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