Oktober/November 2022

Elektrolysebad der Norddeut- schen Affinerie: Das Verfahren, mit dem sich Kupfer in beson- ders reiner Form gewinnen lässt, entwickelte der Mitarbeiter Dr. Emil Wohlwill. Dr. Dirk Brietzke, Historiker an der Universität Hamburg Industria- lisierung Was genau ist In- dustrialisierung? Stefan Rahner vom Museum der Arbeit definiert sie „über einen be- stimmten Grad an Mechanisierung, Arbeitsteilung und -konzentration in einer Fabrik mit zentraler Energie- versorgung (Was- serturbine oder Dampfmaschine)“. Und er erklärt: „Nach Installie- rung der ersten Dampfmaschine auf dem Gras- brook wurde Ham- burg in den heuti- gen Grenzen erst durch die Ent- wicklung der Gummiindustrie, (Speise-)Ölmüh- len, Margarine- und Seifenfabri- ken, Schiffbau und Zulieferbetriebe, Maschinenbau (vor allem Hafen- kräne, Schiffspro- peller, Kesselbau), Schokolade- oder Zigarettenfabriken zum richtigen In- dustriestandort.“ JAN FREITAG quellen, die Verbesserung des Verkehrs- und Trans- portwesens“. Denn Hamburgs Industrialisierung, das setzt sich bis heute fort, war zwar eine Folge von Wachstumsschritten – doch immer wieder wurde sie auch von Rückschlägen unterbrochen. Modernisierungsimpulse Die zeitweiligen Einbrüche konnten sich allerdings auchalswichtigeWachstumsimpulse erweisen. Sowar etwaderGroßeBrandvon 1842 trotz fataler Folgenund immenser Zerstörungen wirtschaftlich zukunftswei- send. Drei Tage lang wütete er, legte ein Viertel der Stadt in Schutt und Asche, darunter Börse, Bank, etwa 1700 Häuser und 102 Speicher. Doch langfristig sorgte das Feuer für eine Neustrukturierung, die Hamburgs Aufstieg buchstäblichmit moderner Infrastruktur un- termauerte – etwa demdirekt nach demBrand errich- teten ersten Sielsystem Kontinentaleuropas. Ähn­ liches galt für die verheerende Cholera-Epidemie 1892, inderenFolgedieStadt unter anderemdas Filter- system für Trinkwasser auf der Insel Kaltehofe, das damals seinesgleichen suchte, rasch fertigstellte. Die Weltwirtschaftskrise von 1857 stoppte den Aufschwung dagegen ohne Innovationen. Und der gleichzeitige Kampf gegen Zollverein oder Staaten- bünde – angeführt von der Commerzdeputation, der Vorläuferin der Handelskammer –, drängte wichtige Unternehmen ins preußische Ottensen oder das Hannoversche Harburg, koste- ten also eher Prosperität. Erst als die Han- delskammer 1883 den Abriss der Viertel Kehrwieder und Wandrahm und damit den „großen Freihafen“ erstritt, wuchs der Industriesektor, den sie ab 1900 auch offiziell vertrat, im Gleichschritt mit Ha- fen und Handel. Die Anzahl der Betriebe stieg zwischen 1880 und 1890 von 685 auf 1199mit 30 000 Beschäftigten – von denen allerdings viele aufgrund der schlechten Arbeits- und Wohnbedingungen bald streikten: August Bebel bezeichnete die Hansestadt sogar als „Hauptstadt des Sozialismus“. Es waren, industriell wie politisch, revolutionäre Zeiten. Am Ende aber führten sie trotz und wegen aller Umbrüche zur Erneuerung der Kaufmannsmetro- pole, deren Bevölkerung sich allein zwischen 1852 und 1900 von 160 000 auf über 700 000 erhöhte. Nach dem Ersten Weltkrieg, der Hyperinflation von 1923 und derWeltwirtschaftskrise ab 1929 bedeutete auch der Zweite Weltkrieg einen gravierenden Einschnitt für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt: Ham- burgs Rüstungsindustrie war ein Kernziel alliierter Bomben, und nach 1945 gingen dieWirtschaftsbezie- hungen zu Osteuropa stark zurück. Nach einem verzögerten Wirtschaftswunder entfaltete sich Hamburg somit nicht nur zur Indus- triestadt, auch andere Branchen wuchsen. Groß­ verlagewie Axel Springer, Bauer, Gruner+Jahrmach- ten Hamburg zur Pressehauptstadt, Airbus oder Lufthansa zum Luftfahrtcluster. Maschinen, Ener- gie, Kunst- und Schmierstoffe blieben so wichtig wie der Gesundheitssektor – und der 1882 in Hamburg gegründete Konzern Beiersdorf kletterte 2008, 126 Jahre nach Erfindung des medizinischen Pflasters, in den Dax. Auch wenn die Zukunft derzeit recht bedrohlich aussieht, unter anderem auf- grund der Energiekrise, kann Hamburg auf seine Innovationskraft und seinen Nachwuchs zählen – schließlich hat 1975 das mit der Handelskammer entwickelte „Hamburger Modell“ die betriebliche Ausbildung revolutioniert und die Grundlagen des dualen Sys- tems gelegt: eine gute Voraussetzung, um auch die heutigen Krisen zu bewältigen. Mit Hamburg als um- satzstärkster Industriestadt. Weithin sichtbar durch ihre kupfergrünen Kirchtürme. Habichthorst 44-46 22459 Hamburg Tel. 040 57 14 70-0 www.sitness-urban.de www.agentur78.de INDUSTRIE GESCHICHTE

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