Juni/ Juli 2022

Sie kennen das Süd-Nord-Gefälle also aus eige- ner Erfahrung. Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Attraktivität des Wirtschaftsstand- orts Norddeutschland nachhaltig zu steigern? Ein Punkt, den ich auch in meiner persönlichen be- ruflichen Entwicklung erlebt habe, ist die Strin- genz, mit der Planungs- und Genehmigungsverfah- ren durchgeführt werden. In Süddeutschland ist auch die Verwaltung darauf verpflichtet, wirtschaft- liche Erfolge zu ermöglichen, weil am Ende des Ta- ges auch Verwaltung nur durch wirtschaftlichen Erfolg bezahlt wird. Deshalb brauchen wir im Nor- den nicht nur ein klares politisches Bekenntnis zu wirtschafts- und industriepolitischer Entwicklung, sondern vor allem auch ein konsequentes Handeln in Politik und Verwaltung. Norddeutschland steht vor einem Struktur- wandel. Kann er gelingen? In der Metropolregion Hamburg haben wir eine sehr breit angelegte Wirtschaft mit einem starken industriellen Fundament, zumal in Hamburg als größter Industriestadt Deutschlands gibt es exzel- lente Ausgangsvoraussetzungen. Die Region ist geo- grafisch gut erreichbar und verfügt über ein hohes Potenzial an nachhaltiger, grüner Energieversor- gung an der Küste. Transformation gelingt aber nur, wenn dieser Leistungsmotor klug und schrittweise innovativ, arbeitsplatz- und leistungsförderlich so- wie wettbewerbsfähig dekarbonisiert und digitali- siert wird. Wo ist der Norden besonders vom Struktur- wandel betroffen? Nehmen wir das Beispiel Luftfahrtindustrie, wo Hamburg und der gesamte Norden der drittgrößte Standort der Welt sind. Es geht darum, eine Zu- kunftsperspektive in Zeiten der Dekarbonisierung zu schaffen. Das nächste Thema ist, dass der Norden sehr stark von Beschäftigungsströmen geprägt ist. Gleichzeitig brauchen wir noch mehr Fachkräfte für die Bewältigung von Innovationsaufgaben wie Digita- lisierung und intelligente Wertschöpfungsketten – insbesondere in Industrie undHandel. Der Norden ist die große Anlaufstelle für den Waren- und Güteraustausch in der ganzen Welt. Aber wir stehen tagtäglich in Staus, die auch von Menschen verantwortet werden, die nicht genug Energie, Kraft und manchmal auch nicht genug Wil- len haben, solche existenziellen Infrastrukturen tat- kräftig auszubauen undweiterzuentwickeln. Welche Qualitäten sind jetzt vor allem gefragt? Offenheit und Tatkraft. Außerdem sollte man die positiven Standortfaktoren hier nicht als naturge- MATTHIAS BOXBERGER (55) stieß 2011 als Vorstandsmitglied zur damaligen E.ON Hanse AG, der heutigen HanseWerk AG in Quickborn. Seit 2013 ist der Wirtschaftsinge- nieur Vorstands- vorsitzender und Ressortvorstand Technik des Unternehmens. Die HanseWerk- Gruppe zählt mit den Töchtern Schleswig-Holstein Netz, HanseGas, ElbEnergie und NordNetz zu Norddeutschlands größten Energie- dienstleistern. 77 000 Kilometer Leitungen und über 15 000 Anlagen versorgen Schleswig-Hol- stein, Hamburg, Mecklenburg-Vor- pommern und den Norden Nieder- sachsens. Als Ener- giewendepartner hat HanseWerk mehrere Zehntau- send Anlagen zum Erzeugen erneu- erbarer Energie angeschlossen. geben annehmen. Wir haben beispielsweise mit die komplexesten und kompliziertesten Genehmi- gungsverfahren, weil wir uns in der Metropolregi- on Hamburg in einem engen Verdichtungsraum von Arbeiten und Wohnen befinden. Schon des- halb sollten wir uns mehr inspirieren lassen von prosperierenden Regionen anderswo auf der Welt. Regionen, in denen es den erkennbaren Willen zur Mehrung von Wohlstand und eine Willkommens- kultur für unternehmerische Investitionen am Standort gibt. Zum Beispiel? Nehmen wir den Raum Kopenhagen, wo eine wirt- schaftliche „Erfolgsstory“ unter Einbeziehung der gesamten Umgebung zu beobachten ist. Was in Ko- penhagen anders ist, ist die längerfristig ausgerich- tete Ambition von Entwicklungszielen. Wenn ich nach Kiel, Hamburg oder Schwerin schaue, habe ichmanchmal das Gefühl, dass deutlich mehr Kraft in verteilungspolitische Diskussionen ge- steckt wird als in die Ausgestaltung langfristiger Ent- wicklungslinien für nachhaltige, wirtschaftliche Prosperität. Flächen- und Stadtstaaten im Norden haben teilweise unterschiedliche Wirtschaftsinteres- sen. Wie lassen sich diese besser in Einklang bringen? Es gibt positive Beispiele, wo es zumindest auf der Ebene der politischen Willenserklärung eine ge- meinsame Linie gibt. Das betrifft die Förderung der Erneuerbaren Energien als Zukunftsmotor und die Entwicklung einer grünen Wasserstofflandschaft im Rahmen der Norddeutschen Wasserstoffstrate- gie. Denn Klimaschutz und Transformation des → 33 HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE PERSÖNLICH MATTHIAS BOXBERGER

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