Juni/ Juli 2022

Wie Hilfsgüter in Kampfgebiete gelangen Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) organisiert seine Ukraine-Hilfe von Hamburg aus. André Pilling (43), der mit seiner ukrainischen Frau und zwei kleinen Kindern bis Kriegsbeginn im Land lebte, koordiniert deutsche Spenden. Die Handelskammer stellte dem sechsköpfi- gen BMEL-Team Büroräume zur Verfügung. Herr Pilling, wie sind Sie aus der Ukraine herausgekommen, als der Krieg begann? André Pilling: Wir wurdenwie auch dieMitarbeiter der Botschaft im Februar angewiesen, das Land zu verlassen. Am 26. Februar trafen bei mir die ersten Anfragen aus der Ukraine ein, manwürde dringend Lebensmittel benötigen. Der Appell war sehr drama- tisch. Vielemeiner Freunde und Geschäftspartner sagten: „André, wir werden hier in eine humanitäre Katastrophe laufen.“ Danach habe ich alte Kollegen bei Edeka angerufen, und wir haben bereits am 2. März die ersten neun Lkw über polnische Hubs in die Ukrai- ne gebracht. Ihre Spenden kommen nicht aus privaten Haushalten, son- dern direkt vom Handel. Salopp formuliert: Bekommen Sie das, was bei denen liegen geblieben ist? Es wird das gespendet, was der Handel zur Verfügung stellen kann. Dafür sind wir sehr dankbar, das ist sicher keine Restever- wertung. Ich würde eher sagen, wir bekommen das, was keine Probleme in der Warenversorgung des Inlands verursacht. Der Handel steht momentan im Fokus, weil bestimmte Produkte wie Sonnenblumenöl oder Mehl nicht immer verfügbar sind. Solche Produkte erhalten wir nicht. Spenden des Handels sind also nicht dafür verantwortlich, wenn etwas im Supermarktregal fehlt. Das können wir auch über unsere Frachtpapiere belegen. Wie komplex ist die Logistik hinter der Hilfsgüter-Vertei- lung? Für uns ist es nicht allzu komplex, denn wir gehen ja über Hubs in Polen. Das sindmoderne Logistikzentren, die schon vor demKrieg in diesem Geschäft tätig waren und es sehr gut verstehen. Wir melden dort täglich unsere Lkw-Touren an, dannwissen die schon mal, was in der Anlieferung vorgesehen ist. Die Ukrainer stehen Koordinatorin Maggy kontrolliert Decken, Schlafsacke und Isomatten fur Fluchtlinge aus der Ukraine in der Kleiderkam- mer vom Hanseatic Help e.V. Bereits Anfang April waren in Hamburg rund 16 000 Geflüchtete aus der Ukraine registriert. Für diese stellen Unternehmen und Privatleute Unter- künfte, Geld- und Sachspenden, Büros, gemeinsam nutzbare Schreibtische („Shared Desks“) oder auch Jobs und Praktika bereit. Etwa auf dem „Marktplatz der Begegnungen“ in der Handelskammer: Am 7. April brachte dieser rund 40 Unternehmen und Institutio- nen mit 500 Schutzsuchenden zusammen; ein weite- res Treffen findet am 24. Juni statt ( www.hk24.de/ marktplatz ). Weitere Hilfsmöglichkeiten finden Sie auf der Kammer-Seite #WirtschaftHilftderUkraine: www.hk24.de/wirtschafthilft Langfristig soll der Städtepakt auch zu einem engeren Zusammenrücken Hamburgs und Kyivs führen. Dazu Philip Koch: „Wir merken jetzt erst, wie wichtig die Ukraine für viele Dinge unseres täg- lichen Bedarfs ist – auch in der Industrie. Ich glaube, dass die Bedeutung der Ukraine noch weiter wachsen wird, wenn wieder Frieden da ist. Das ist ein großes europäisches Land, im IT-Bereich gut aufgestellt, für die Ernährungswirtschaft und auch den Maschinenbau sehr wichtig. Unter anderem in Sachen resilientere Lieferketten.“ Viele Wirtschaf- tende, so Koch, würden im Angesicht zuletzt geballt auftretender Krisen das „just in time“-Gebot infrage stellen und zu einer sichereren „just in case“-Denk- weise zurückkehren. Es ist nicht mehr normal, dass alles, was wir be- nötigen, auf demWeltmarkt schnell verfügbar ist: Das ist eine der großen Lehren aus den letzten globalen Krisenjahren. Doch gerade angesichts dieser Erkennt- nis ist eswichtig, gute Partner und Freunde zuhaben. ERIC LEIMANN redaktion@hamburger-wirtschaft.de HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE 16 FOTOS: MARCUS BRANDT/DPA, PETER JEBSEN, STELP E.V. UKRAINE HILFE

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