April/Mai 2023

Einkaufswelten imWandel Mehr als 100 Jahre lang waren Warenhäuser Garanten demokratischer Wohlstandsteilhabe. Mitte der Siebziger gerieten sie in die Krise und gehen nun auch in Hamburg neue Wege. Das „Waarenhaus Hermann Tietz“ eröffnet im Jahr 1897 am Großen Burstah nahe Handelskammer und Rathaus, zieht aber schon 1912 an den mondäneren Jungfernstieg um und ist seit 1935 als „Alsterhaus“ bekannt. E s ist ein großer Tag für das kleine Eimsbüttel. Hunderte von Zaungästen ziehen 1951 zur Osterstraße, als dort Altbekanntes und doch Extravagantes aufsperrt: Karstadt. 54 Jahre, nach- dem Thüringer Kaufleute hinter dem Rathaus das modernste Warenhaus ihrer Zeit eröffnet hatten, ist dieser Neubau zwar weder das erste noch das letzte, nicht das schönste oder größte, sondern einfach nur eines mehr im Wirtschaftswunderland. Für Volks- aufläufe reicht es trotzdem. KeinWunder. Seit der PariserGrandMarché oder dasHarrods inLondonEinkaufsgewohnheiten revolu- tioniert haben, geben Karstadt, Quelle, Kaufhof, Her- tie und Horten ein demokratisches Versprechen: Wohlstandsteilhabe für alle anOrten, die Bedarf nicht nur befriedigen, sondern auch erschaffen und zum Verweilen statt Durcheilen anregen. Den Anfang macht 1881 Karstadt in Wismar, die Krönung ist 26 Jahre später das Berliner KaDeWe, dazwischen er- hält auchHamburg seinKonsumdenkmal. Mit doppeltemAund allem, was dasHerz begehrt, eröffnet 1897 das „Waarenhaus Hermann Tietz“ am Großen Burstah, zieht aber 1912 an den Jungfernstieg um, wo ihmFaschismus, Krieg, Zerstörung zumindest äußerlich nichts anhaben. ImGegenteil. BeimWieder- aufbau steht das „Alsterhaus“ als Flaggschiff des kol- lektiven Konsumrauschs für das Wirtschaftswunder wie Ludwig Erhard oder VW-Käfer und trägt mit einer wachsenden Zahl Konkurrenten zehn Prozent oder mehr zum Einzelhandelsumsatz bei. Es ist schon selt- sam, aber ausgerechnet Zweckbauten von Karstadt bis Hertie brachten ihreUmgebung zumBlühen. Lang ist’s her. Mitte März verkündet Galeria Kar- stadt Kaufhof nach diversen Besitzerwechseln und Sparrunden den nächsten Kahlschlag: Bis Ende 2024 schließen 47 der insgesamt 129 deutschen Filialen, die Hamburger in Harburg und Wandsbek sogar schon im Juni. Doch nachdem die Stadt einst mehr Konsumtempel als Kirchtürme besaß, schätzt Bri- gitte Nolte vom Handelsverband Nord ihre Zahl heute nur noch auf „eine Handvoll“. Nur das fusio- nierte Dreigestirn der SIGNA Holding betreibe ja „Warenhäuser, die ihren Namen noch verdienen“. Damit meint Nolte Einzelhandelsbetriebe mit 3000 Quadratmetern aufwärts, deren Angebot vom Aal in Aspik bis zumZwirn aller Art ins Zeitalter pau- senlos besetzter Online-Shops passt wie einst der Sommerschlussverkauf. Die Kette „Hertie“, 1933 aus der „arisierten“ Beute plus Initialen des jüdischen Kaufmanns Hermann Tietz entstanden, macht ihre Kundschaft dank einer Kundenkarte gerade zu Mit- gliedern, da neigt sich die Epoche der Warenhäuser auch schon wieder ihrem Ende entgegen: 1970 ent- steht an der Hamburger Straße das bundesweit größte Einkaufszentrum. HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE 46 FOTO: BILDARCHIV-HAMBURG.COM RÜCK BLICK

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