APRIL/MAI 2021

SPEICHER STADT „Ende 1977 reiste ich von Afghanistan nach Deutschland, um nach meinem Abitur Freunde zu besuchen“, erzählt der 66-Jährige. Doch aufgrund eines Militärputsches in seiner Heimat entschied er sich, in Hamburg zu bleiben. Wahdat fing an, bei dem alteingesessenen iranischen Teppichhändler Abolghassem Ipektchi zu arbeiten. „Bei ihmhabe ich Handwerk und Handel von Grund auf gelernt“, sagt er über seinen Lehrmeister, der über Teheran an die Elbe gekommen war und 1952 sein Geschäft in der Speicherstadt gründete – seinerzeit noch zwischen indischenGewürzhändlernund südamerikanischen Kaffeeimporteuren. „Damals gehörte die Speicher­ stadt noch zum Freihafen, der um 8 Uhr öffnete und um 16 Uhr schloss.“ Nur zu gut erinnert sichWahdat daran, wie die Teppiche verplombt für 14 Tage mit­ genommen werden durf­ ten, um sie der Kundschaft zu zei gen . Beim Kauf musste er die Stücke dann beim Amt an der Korn­ hausbrücke verzollen. In der goldenen Zeit der Branche bis Mitte der 1990er-Jahre baute Ahmad Wahdat sein eigenes Busi­ ness als Groß- und Einzel­ händler mit kaufmännischem Instinkt auf. In Indien etwa lernte er einen Händler kennen, der ihm – vollkommen ohne Sicherheiten – Teppiche nach Hamburg schickte. „Das Geschäft“, erzählt er, „lief so gut, dass ichdieWare nach einpaarWochen verkauft hatte und ihm sein Geld senden konnte.“ Von da an hieß es für den Kollegen in Delhi: Teppiche besorgen und schicken. Dafür, dass die Zahl der Teppichgeschäfte seit rund 25 Jahren abnimmt, sieht Bahram Habib verschiedene Gründe. Nicht immer übernimmt die nächste oder übernächste Generation das Geschäft wie bei Familie Ipektchi. „Viele Kinder der Kauf­ leute“, so Habib, „werden eher Architekten oder An­ wälte.“ Zudemseien Teile der persischen Community in die USA weitergezogen. Auch der Online-Handel spiele eine große Rolle. „ImZuge der Digitalisierung müssen die Händlerinnen und Händler nicht unbe­ dingt in der Speicherstadt ansässig sein. Sie brau­ BIRGIT REUTHER redaktion@hamburger-wirtschaft.de chen gute Fotos und Texte, schon können sie ihre Teppiche weltweit verkaufen.“ Und der Geschmack habe sich schlichtweg geändert – die dunklen orien­ talischenMuster würdenweniger nachgefragt. Die Firma Wahdat hat ihre Auswahl früh um moderne Variationen ergänzt und betreibt seit fünf Jahren zudem einen Online-Shop, der ihr nun auch durch die Corona-Lockdowns hilft. Auf einen Mix aus stationärem und digitalem Handel setzt auch Ahmad Wahdats Tochter Anna, die mit „On The Rugs“ ein eigenes Geschäft eröffnet hat und eine jün­ gere Klientel ins Visier nimmt. 15000 Follower hat ihr Instagram-Kanal, den sie zu Marketingzwecken nutzt (siehe Social-Media-Tipps auf Seite 52). Während ihrer Elternzeit vor sechs Jahren durchstöberte die Journa­ listin den Bestand ihres Vaters nach Stücken mit außergewöhnlichen Mus­ tern, Materialien und Far­ ben. Sie organisierte eine Ausstellung dieser kura­ tierten Exemplare – inklu­ sive Essen, Lesungen und Miteinander. Von ihrem Showroom am Sandtorkai zieht die 38-Jährige nun auf eine größere Fläche am Pickhuben. „Das ist ein Gebäude ohne Aufzug. Also werdenwir die Teppiche ganz traditionell von außen mit einemLastenzug hochziehen – spannend.“ Den Wandel der Speicherstadt sieht sie mit gemischten Gefühlen: „Ein Gebäude nach dem anderen wird saniert. Und auch wenn es einen gewissen Schutz vonseiten der Stadt und der HHLA als Vermieterin gibt, das Kulturerbe des Teppich­ handels zu wahren, so findet doch eine Verdrän­ gung statt.“ Andererseits freue sie sich über den neuen Mix an Mieterinnen und Mietern, der viel positive Energie in das Areal bringe. Ihr Vater will nun, nach mehr als 40 Jahren im Teppichgeschäft, kürzertreten. Für Anna Wahdat steht fest: „Das Wissenmeines Vaters warmein Teppich, alsomeine Grundlage, von der aus ich starten konnte.“ Zum Teil werden Teppiche in der Speicherstadt auch heute noch traditionell per Lastenzug befördert Ihr Fachhändler für Büromöbel aus Hamburg Habichthorst 44-46 · 22459 Hamburg Tel. 040 57 14 70-0 www.agentur78.de Anzeige_Koehl+Agentur78_185x30.indd 1 14.01.21 14:03 Die Preise für Orientteppiche beginnen in der Regel im dreistelli- gen Bereich und können im Falle von antiken Einzel- stücken mehrere 100000 Euro betragen. Solche Teppiche werden wie Kunstwerke bei Auktionen gehan- delt und reisen im Laufe der Jahr- zehnte zum Teil über Kontinente hinweg. Dicht geknüpfte Sarugh- Teppiche zum Beispiel wurden Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem für den US-Markt gefer- tigt, wo eine beson- ders hohe Nach- frage herrschte. Diese begehrten Liebhaberstücke werden nun oft- mals von persi- schen Händlern zurückgekauft und reimportiert.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz