April/Mai 2022

Wandel durch Handel Von Säcken zu Containern: Der Hafen hat sich seit 1189 enorm verändert. In den vergangenen 50 Jahren wurde er praktisch neu errichtet – eine Transformation im laufenden Betrieb. Unser Autor legte hier in seiner Jugend selbst Hand an. Ein Wandel, der Hafennostalgiker zwar schwin- delig macht, aus Sicht von Dr. Dirk Reder jedoch un- vermeidbar ist. „Es ist meist erfolglos, sich struktu- reller Veränderung entgegenzustellen“, sagt der His- toriker, dessen Kölner Geschichtsbüro für den 2015 erschienenen Jubiläumsband „350 Jahre Handels- kammer“ verantwortlich war, „das lehrt die Ge- schichte.“ Nur wer ohne allzu langes Zögern Altes aufgibt und Neues erschafft, Wege eröffnet und Märkte erschließt, Logistik und Transportmittel mo- dernisiert, werde beim rasanten Wandel des Welt- handels nicht abgehängt. „Dieser Hafen hat das of- fenbar gut gemacht“, meint Reder. „Sonst wäre er ja nicht mehr da.“ Und wie er da ist: größer, schneller, höher, wei- ter denn je. Vor allem aber ganz anders als vor Jahr- zehnten, von Jahrhunderten ganz zu schweigen. Bis zum Siegeszug der Container, erzählt Daniel Jahn vom Museum für Hamburgische Geschichte, „glich der Hafen einer Lunge“. Zur Abfertigung kleiner Schiffe zogen sich schmale Kais wie Bronchien durch weitverzweigte Becken. Doch je größer Fracht und Frachter, desto größer der Raumbedarf. Und je grö- ßer der Raumbedarf, desto weiter wanderten die An- kerplätze stromaufwärts, wo der Alsterhafen über D ie heutige Elbphilharmonie, Klassikfans ist das vermutlichweniger bekannt, war einst ein sehr frostiges Gebäude. Über kalte Betontrep- pen ging es durch kalte Betondielen in kalte Betonhal- len, wo kalte Betonböden Massengüter beherbergten, die meist das Wärmste am damaligen Lagerhaus wa- ren. Doch auch der Duft von Kaffee oder Kakao und ähnlichem Schüttgut konnte nicht darüber hinweg- täuschen, dass der Sockel des späterenKonzerthauses alles andere als wohlig war. Im Gegenteil. Es war ein Ort harter Arbeit. FürmeinenVater zumBeispiel. Lange bevor der Architekt Alexander Gérard die Idee zur Umgestaltung des verwaisten Kaispeichers A hatte, war mein Vater für diesen zuständig – wobei schon sein Beruf andeutet, wie sich der Hafen rings- herum verändert hat: Stauerviz. Als Vormann Dut- zender Schauerleute löschte er einen Teil der rund 25 ​000 Schiffe, die vor fast 50 Jahren noch in Ham- burg festmachten, und manchmal packte ich mit an. Für fünf Mark die Stunde plus Sachwerte – Jacken aus Fernost, Pistazien aus Fernsüd und am tollsten Tag meiner Früherwerbskarriere: Marvel-Comics aus Fernwest, sortiert in der Betonkälte eines Back- steingebäudes, das wie kein zweites für den Wandel der hanseatischenHerzkammer steht. Für den Bau der Speicherstadt ab 1883 wurden mehr als 1000 Häuser abgerissen. RÜCK BLICK

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