DEZEMBER 2025/JANUAR 2026

Umdemokratiegefährdenden Tendenzen etwas entgegenzuset- zen, muss sich unser politisches Denken und Reden verändern. Können Sie das präzisieren? Weniger abstraktes Fachvokabular, mehr praktische Alltags- sprache und vor allem: mehr konkrete Problemlösung. Wie hält man den Hausarzt im Ort oder die Einkaufsfiliale? Wie er- hält man ein Jugendzentrum? Das sind Beispiele aus dem Os- ten, aber auch hier gilt: Gemeinsam ließe sich das, was man feiern darf, viel besser vermarkten. Als Stadtstaat haben wir den Vorteil der kurzenWege. Alles liegt relativ eng beieinander. Davon profitieren aktuell vor allem Bereiche wie Logistik, Finanzwirtschaft oder die IT-Branche. Was sagt das über den Standort aus? Hamburgs Wirtschaftsstruktur besteht nur zu 17 Prozent aus industriellem Gewerbe. Immerhin, aber als Dienstleistungs- und Handelsmetropole sind Logistik und Finanzen automa- tisch zentrale Wirtschaftsfaktoren. Und dank der urbanen At- mosphäre zieht sie junge Start-ups an, deren natürliches Habitat nunmal die IT ist. Ich hatte vor ein paar Jahren die Idee eines maritimen Digital-Clusters. Wir haben das neudeutsch „Digital Maritime Opportunities“ genannt. Es hat sich zwar noch nicht durchgesetzt, aber in dieser Form der Kombination lokaler Stärken liegen ungeheure Zukunftspotenziale. Der So- ziologe Richard Florida hat die Anziehungskraft attraktiver Metropolen wie Hamburg mit „Talente, Toleranz, Technologie“ beschrieben. Und für unsere große, vielfältige, internationale, ebenso liebens- wie lebenswerte Stadt gelten diese drei T doch ganz besonders. Darauf sollte sichHamburg besinnen, das soll- te es fördern. Die Impossible Founders aus Langenhorn wurden ja im Juli für innovative Deep-Tech-Ausgründungen aus der Wissenschaft ausgezeichnet … Und genau das zeigt ja den Weg: mehr Forschungskooperatio- nen zwischen den Unis und den Unternehmen, mehr Offenheit der Hochschulen gegenüber Ideen aus demUnternehmenssek- tor, mehr Kommunikation über das, woran die Institute gerade forschen. Neue Ideen brauchen immer eine Plattform! Auch hier würde ich Hamburg ein bisschen weniger hanseatisches Understatement wünschen und Preise wie diesen hier auch mal lautstark feiern. Mit etwas mehr Selbstbewusstsein und Euphorie kriegt man die strukturellen Probleme viel eher in den Griff. Hamburg gilt als Deutschlands Start-up-Metropole. Bringt das auch ein neues Führungsdenken mit sich? Ich glaube schon. Die Kernaufgabe von Führung besteht ja nicht mehr darin, Kommandos zu geben, sondern Orientie- rung. Klingt trivial, aber wenn prognostizierbare Zahlen in ei- ner volatilen Wirtschaft an Bedeutung verlieren, werden sol- che Soft Skills auch auf Führungsebenen wichtiger. Um das Wertegerüst eines Unternehmens zu vertreten, braucht gutes Führungspersonal demnach analytische, empathische, anpa- ckende Persönlichkeiten. Ich muss Menschen mögen, um sie zu führen. Und auch dafür ist positives Denken unerlässlich. Mein zugehöriger Dreisatz lautet unabhängig von der Unter- nehmensgröße: cool head, warm heart, working hands. Wie hat Sie in dieser Hinsicht Ihre Arbeit als CEO bei Ro- land Berger beeinflusst? Maßgeblich. Vor allem in Hinsicht darauf, eine globale Com- munity zumanagen. Entschuldigung, ich übersetze mal selber: einweltweit tätiges Gefüge von Büros in allerWelt zu organisie- ren. Deren kulturelle Vielfalt kennenzulernen, war eine der großen Bereicherungen meines Berufslebens, die man sich nicht anlesen kann, sondern erleben muss. Das hat mir dabei geholfen, immer den Menschen hinter den Zahlen zu sehen. Spielt es dabei eine Rolle, dass Sie sich vom Hauptschüler zum Akademiker und Manager emporgearbeitet haben? Neue Ideen entstehen nicht im Mainstream. HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE 26 Ich glaube schon. Wobei meine Kindheit nicht immer einfach war, aber vergleichsweise kommod. Umso mehr hat sie mich gelehrt, wie wichtig in jeder Karriere das Glück ist, Menschen zu treffen, die einen auf dem Weg nach oben fördern. Natür- lich ist dieses Glück mit den Tüchtigen, aber ohne geht es nicht. Ich will das jetzt nicht dramatisieren, aber jede Füh- rungskraft, egal ob sie von oben oder unten kommt, sollte sich stets vor Augen halten, dass an ihrer Arbeit Einzel- schicksale hängen. Obwohl ich mitunter harte Entscheidun- gen zu Lasten anderer treffen musste, habe ich das nie ver- gessen. In der Flüchtlingskrise haben Sie ja einen Afghanen bei sich aufgenommen. Aus reiner Menschenfreundlichkeit oder um der Gesellschaft etwas zurückzugeben? Auch hier ist es eine Kombination, aber „zurückgeben“ klingt immer so großmütig. Und vor allem: Man bekommt ja auch et- was! Ali, so heißt der junge Mann, ist ein Teil unserer Familie geworden. Ein großartiger Mensch. Wir sind alle sehr stolz auf ihn. Ohne wirkliche Schulbildung hat er es zum Polier ge- schafft und ist sicher noch nicht am Ende seiner Karriere. Wir haben also beide Glück gehabt, und das zeichnet auch meine Karriere aus. Ich hatte bei aller Arbeit einfach viel Glück und als junger Mensch der Siebziger auch davon profitiert, dass sozialdemokratische Politik in Nordrhein-Westfalen und bun- desweit Bildung für alle gefördert und mit dem BAföG wirklich Klassengrenzen überwunden hat. Sonst wären mir weiterfüh- rende Schulen schlicht verschlossen geblieben. Deshalb nutze ich, wo esmirmöglich ist, meinen Einfluss, umauch für andere da zu sein. Sie lehren in Leipzig strategisches Management mit Schwerpunkt Unternehmenstransformation. Wie würden Sie Hamburg transformieren? Wir haben bislang vor allem über Hamburgs Stärken gespro- chen, und da könnte ich noch viel mehr aufzählen. Durch mei- ne Verbindung zu den Symphonikern fiele mir die exzellente Kulturförderung durch Carsten Brosdas Behörde ein. Oder dass Finanzsenator Andreas Dressel regelmäßig die „Stadt- wirtschaft“, also kommunale Unternehmen, an einen Tisch bringt. So ein Forum kenne ich aus anderen Städten nicht. Aber Hamburg muss immer auch ein wenig aufpassen, sich nicht auf dem auszuruhen, was es hat. Im Sinne von Berlins Motto „arm, aber sexy“? Geniales Marketing! Aber kluge Slogans führen auch schnell mal zu einer Saturiertheit, in der man es sich allzu gemütlich einrichtet. Das gilt übrigens ebenso für Hamburgs Selbstver- ständnis als „Tor zurWelt“. Viele Menschen hier schließen dar- aus, dass unsere Stadt auch weltbekannt ist. Da muss ich sie aus eigener Erfahrung leider enttäuschen (lacht). Man gefällt sich hier mitunter ein bisschen zu sehr selbst. Und Selbstgefäl- ligkeit birgt für Standorte ebenso wie Unternehmen die Ge- fahr, es an Veränderungswillen und Eigeninitiative fehlen zu lassen. Welche Branchen sind aus Ihrer Sicht denn besser vor Selbstgefälligkeit gefeit? Aus meiner Erfahrung im Aufsichtsrat des Hamburger Flug- hafens kann ich zum Beispiel den Luftfahrtcluster nennen. Große Unternehmen wie Airbus oder die Lufthansa-Werft bie- ten ideale Voraussetzungen für ein Biotop junger Start-ups. Und die Rückkehr der Überzeugung, dass Landesverteidigung von gesellschaftlich großer – und mit dem Sondervermögen exzellent finanzierter – Bedeutung ist, stärkt diesen Branchen gerade enorm den Rücken. Das kann, muss und wird sich Hamburg zunutze machen. Nur in der Luftfahrt oder auch im Seehandel? Auch dort. Die HHLA hat zum Beispiel ein eigenes Drohnen- Start-up gegründet. Und durch den erhöhten Bedarf der Mari- ne werden womöglich sogar die Werften reanimiert. So be- drohlich die Weltlage gerade auch ist – für Hamburgs Wirtschaft sehe ich darin mehr Chancen als Risiken. Sofern die Entbürokratisierung weiter voranschreitet. Die ist ja nicht nur ein Hemmschuh für jede Art von Innovationsfähigkeit, sondern Ausdruck tiefen Misstrauens gegenüber dem Verant- wortungsbewusstsein ökonomischer Akteure. Bürokratie sorgt aber auch für die Einhaltung notwendi- ger Standards, etwa beim Arbeitsrecht oder Klima- schutz. Richtig. Aber es kommt aufs richtige Maß an und die Frage, wie bürokratisch und aufwendig Vorschriften umgesetzt werden. Wird die Umsetzung zu kompliziert, verlieren auch diejenigen, die Regelungen für richtig halten, ihre Motivation. Deswegen ist Vertrauen so wichtig – die allermeisten Unternehmen ver- halten sich richtig, also „compliant“, und zwar aus Überzeu- gung! Und weil Hamburg als Stadtstaat den großen Vorteil hat, dass sich Unternehmen, Politik undWissenschaft schon räum- lich näher sind als in anderen Bundesländern, kann dieses Ver- trauen leichter geschaffen werden. So könnte Hamburg auch mithilfe der Handelskammer wirklich zum deutschen Entbü- rokratisierungsmeister werden. Eine schöne Antwort auf die Frage, wie Hamburg durchs Jahr 2026 kommt … Das wäre für mich in der Tat eines der Zu- kunftsprojekte, mit denen sich punkten ließe: Hamburg als Vorzeigestadt für ge- lungene Entbürokrati- sierung zu machen! Das schaffte Attraktivität, Zuzug und Wachs- tumspotentiale! Vorausgesetzt, es wird mit viel Optimismus selbstbe- wusst kommuniziert. WWW.HANDELSKAMMER-HAMBURG.DE 27 PERSÖNLICH PROF. BURKHARD SCHWENKER Burkhard Schwenker traf HW-Autor Jan Freitag im Warburg-Ensemble des Hamburger Unternehmers Erck Rickmers zum Gespräch

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