DEZEMBER 2025/JANUAR 2026

Prof. Burkhard Schwenker zählt zu Hamburgs profiliertesten Wirtschaftsfachleuten. Im Interview erklärt der erfolgreiche Unternehmensberater, wie die Stadt alte und neue Krisen meistert. BURKHARD SCHWENKER, geboren 1958 in Minden, kam 1989 nach seiner Pro- motion in Mathematik und BWL zur Unter- nehmensberatung Roland Berger, die er von 2003 bis 2013 als CEO lei- tete. Seit 2020 ist er dort als Senior Fellow tätig. Zu- dem sitzt er in ei- ner Reihe von Bei- und Aufsichtsrä- ten, darunter der M.M. Warburg & CO und der Flug- hafen Hamburg GmbH. Bei der Haspa firmiert er als Vorsitzender des Aufsichtsrats und leitet den Verwaltungsrat. Neben seiner Arbeit als Unter- nehmensberater widmet sich der 67-Jährige Wis- senschaft und Forschung. An der Leipzig Graduate School of Ma- nagement lehrt er strategisches Management, ist Akademischer Co-Direktor des dortigen Center for Scenario Plan- ning und Mitglied im Hochschulrat der TU Bergaka- demie Freiberg. Als Vorsitzender des Kuratoriums der ZEIT-Stiftung, des Aufsichtsrats der Symphoniker Hamburg oder der Stiftung Lebendige Stadt engagiert er sich außerdem gesell- schaftspolitisch. Schwenker hat drei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg. Herr Prof. Schwenker, Sie gelten privat und be- ruflich als Optimist. Ist das Glas bei Ihnen immer halb voll oder auch mal halb leer? Burkhard Schwenker : Es gibt natürlich auch bei mir halb leere Gläser, aber ich versuche, mich stets an ein Zitat von Winston Churchill zu erinnern: Ein Pessi- mist sieht in jeder Gelegenheit eine Schwierigkeit, ein Optimist in jeder Schwierigkeit eine Gelegenheit. Welcher Burkhard Schwenker hat Ihren Leit- satz „Optimismus zählt“ da denn nachhaltiger geprägt: der Mathematiker, der Manager, der Familienvater, der Aufsichtsrat? Alle ungefähr gleich, aber ein Stück weit ist er auch anerzogen. Die Geisteshaltung in meinem Eltern- haus war grundsätzlich hoffnungsfroh. Als Sohn ei- nes Tischlers in einem winzigen Dorf mit dem le- bensbejahenden Namen Totenhausen wurde über so etwas zwar wenig gesprochen. Aus der Erfahrung eines überstandenen Weltkrieges heraus aber, ge- paart mit ländlicher Gelassenheit, war die optimis- tische Einstellung jederzeit spürbar. Diese Gelassenheit ist in Hamburg gerade nicht zu spüren, wie das Konjunkturbarometer der Handelskammer zeigt. Pessimismus überwiegt. Und das deckt sich mit Konjunkturbarometern an- derer Städte und Länder. Gerade hier ist dieser Pes- simismus aber auch Einstellungssache. Anders als die deutsche Gesamtwirtschaft ist die in Hamburg 2024 um 1,7 Prozent gewachsen und lag im ersten Halbjahr 2025 noch um den Faktor zehn über dem Bundesschnitt. Das gibt doch durchaus Anlass zu Optimismus. Optimismus ist aber auch eine Voraussetzung guten Unternehmertums. Unternehmen ist doch ein zukunftsgewandter Begriff. Und dabei ist die Stimmung weniger entscheidend als die wichtigs- ten zwei Felder, um nachhaltiges Wachstum zu er- möglichen. Welche sind das? Entbürokratisierung und ein europäisches Selbst- bewusstsein, das Stärken und Werte, Freiheit und Demokratie offensiv nach außen vertritt. Beides ge- meinsam bringt neue Zuversicht und Handlungs- optionen. Wenn – wovon ich ausgehe – die Welt, wie wir sie kennen, nicht zusammenbricht, entstehen auf dieser Grundlage unternehmerische Möglich- keiten. Seien sie technologie-, handels-, nachfrage- getrieben, wie auch immer. Also die Krise als Chance, wie Sie 2015 beim Zustrom syrischer Flüchtlinge äußerten? PERSÖNLICH PROF. BURKHARD SCHWENKER Chancen in der Krise! Hamburgs wirtschaftliches Potenzial bleibt trotz der geopolitischen Gesamtlage, die natürlich Rück- wirkungen auf ganz Deutschland hat, enorm. Zumal ich es nicht ausschließen würde, dass sich die Situation zwischen Trump und Putin, Protektionismus und Kriegen wieder ein- pendelt. Die Vereinbarungen zwischen China und den USA zum Beispiel finde ich, vorsichtig formuliert, ermunternd. Au- ßerdem haben wir in Europa, Großbritannien mitgezählt, im- mer noch den weltgrößten, hoch entwickelten Binnenmarkt. Um ihn optimal zu nutzen, ist aber noch etwas anderes von- nöten: ein neues Mindset. Inwiefern? Wir brauchen europaweit einen Aufbruch zu einer echten Transformations- und Leistungsgesellschaft, in der Arbeit und Fortschritt sowohl in der Bildung als auch im Beruf wieder ih- ren früheren Stellenwert erhalten. In der Wirtschaftswachs- tumwieder positiv belegt ist und als erstrebenswert gilt. In der derjenige zählt, der etwas schafft und beiträgt. Darin ist uns Asien, insbesondere China, weit voraus. Nur wenn wir die Macht haben, mit demRest der Welt wirtschaftlich zu konkur- rieren, können wir Demokratie und Freiheit verteidigen. Gera- de Europas große Vielfalt ist dabei doch ein Quell der Träume, Kreativität, Visionen. Bei 27 EU-Staaten mit ihren Einzelinteressen ist sie oft auch ein Hindernis. Absolut, aber da sind wir doch wieder beim halb leeren Glas. Man kann Vielfalt als Komplikation oder Chance sehen. Ich plädiere für Letzteres. Neue Ideen entstehen nicht im Main- stream. Das dominierende Erfolgsmodell war jahrzehntelang der amerikanische Shareholder-Kapitalismus, in demman zu- vorderst versucht, reich zu werden. Das europäische dagegen war eher ein Stakeholder-Kapitalismus, der über den Teller- rand kurzfristiger Gewinne aufs Ganze blickt. Mitbestimmung, Werteorientierung, Sozialverträge – auf so etwas sollte sich die EU bei aller Leistungsorientierung stärker besinnen. Soll ich Ihnen eine Anekdote erzählen? Bitte! Die British Chamber of Commerce hat mich 2007 eingeladen, über das europäischeWirtschaftsmodell zu sprechen. Kurz vor der Finanzkrise war der Applaus, nun ja, verhalten. Als ich zwei Jahre danach exakt denselben Vortrag mit meinem Credo „Europa führt!“ gehalten habe, war der Applaus fast frenetisch. Schließlich hatte sich das deutsche Finanzsystem mit seiner dritten Säule starker Sparkassen und Volksbanken imweltwei- ten Vergleich als besonders stressresilient erwiesen. Das zeigt, wie wichtig feste Überzeugungen und ein solider Mittelstand sind. Auf beides sollten wir deshalb wieder stolz sein. Eine der Kernaufgaben von Politik und Zivilgesellschaft wäre es daher, Begeisterung für unsere Stärken und Werte zu kreieren. Wie könnten diese Aufgaben besser wahrgenommen wer- den als bisher? Zunächst mal durch bessere Vermittlungsstrategien. Die wirt- schaftliche Kommunikation sollte sich nicht nur an ohnehin Überzeugte und Leser des „Manager Magazins“ oder Besucher von Fachkonferenzen richten – so gern ich dort selbst bin und diskutiere. Gemeinsam mit der Handelskammer könnten Un- ternehmen etwa Formate entwickeln, die sich auch an ganz ge- wöhnliche Menschen richten und idealerweise sogar solche erreichen, denen Europa bestenfalls egal ist und schlimmsten- falls zuwider. Wir müssen versuchen, unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Ansichten ins Gespräch zu bringen – auch wenn das manchmal schwerfällt. Kritisieren und Schlechtreden ist viel zu einfach, es geht darum, Begeisterung zu erzeugen. Und wie zum Beispiel? Wir könnten – mit der Handelskammer voran – ein hanseati- sches Best of European Business ausrufen und die Unterneh- men prämieren und feiern, die in Europa besonders erfolg- reich sind oder besonders gute europäische Ideen haben. Ein anderes Beispiel: Wir haben in der ZEIT-Stiftung eine Initiative namens „Zukunftswege Ost“ gestartet, die den demokratischen Dialog in den neuen Bundesländern vorantreiben soll. Wir för- dern dort 33 Aktionen, Projekte und Organisationen, die das Miteinander, Demokratie und Gesellschaft stärken sollen. → WWW.HANDELSKAMMER-HAMBURG.DE 25

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