Dezember 2021/Januar 2022
WWW.HK24.DE 29 PERSÖNLICH CORNELIA POLETTO Gab es auch so etwas wie Teambuilding in der Branche oder der Hamburger Wirtschaft insgesamt? Ist der Stand- ort gewissermaßen zusammengerückt? Nicht, dass ich wüsste. In unserer Branche besteht generell das Problem, sich bis auf befreundete Kolleginnen und Kollegen we nig auszutauschen. AmEnde kämpfendiemeisten für sichallein. Hat die Gastronomie nach dem dritten Lockdown, als sie unter 2G- bis 3G-Bedingungen eröffnen konnte, folglich gegeneinander um die begehrten Fachkräfte gekämpft? Das nicht. Aber ich kenne keinZusammentreffen, bei demnicht sofort die Frage fällt, obman zufällig noch Köch:innen oder Ser vicekräfte übrig hat. Der Fachkräftemangel ist katastrophal, und er wird noch dramatischer. Es gibt viele Restaurants, die ihre Öffnungszeiten reduzieren oder vor demAus stehen. Sie auch? Zum Glück nicht. Ich habe nicht nur ein tolles, sondern auch ein gewachsenes, loyales und zusammengeschweißtes Team. Unser Küchenchef hat schon seine Ausbildung bei mir ge macht; und als unsere Restaurantleiterin gesundheitsbedingt aufhören musste, haben wir rasch jemanden gefunden, der schon inmeinemersten Restaurant mit mir gearbeitet hat. Ist dieser Zusammenhalt ein Phänomen der gehobenenGas- tronomie, in der auch gehobeneGehälter gezahlt werden? Nicht unbedingt. Ich habe meine Mitarbeiter:innen schon im mer respektvoll behandelt und weit über Tarif bezahlt, aber Wertschätzung oder Corporate Identity sind für viele mindes tens so wichtig wie gute Bezahlung. Wer bei Poletto arbeitet, ist Teil einer Familie. Bei Airbus sagt ja auch niemand, ich arbeite in der Luftfahrtbranche. Bedeutet familiäre Bindung im Umkehrschluss, dass die Ketten- und Franchisegastronomie oder anonymere Un- ternehmen anderer Branchen mehr Probleme haben, ihr Personal zu halten? Ich kann das nicht mit Zahlen belegen, glaube aber schon. Den noch erfordert die Spitzengastronomie natürlich eine Menge Passion. Mein Metier braucht schließlich keine Teller-Taxis, sondern Menschen mit Leidenschaft für den Job, und die sind schwer zu finden. Ein weiteres Problem aller Branchen sind unterbrochene Lieferketten, also Ressourcenmangel. In der Tat, auch das ist eine Katastrophe. Viele Rohstoffe, die früher selbstverständlich zu jeder Zeit verfügbar waren, sind plötzlich Mangelware. Das erfordert mitunter viel Improvisa tionsvermögen und Fantasie. Welche Folgen hat das sprunghafte Wachstum der Liefer- dienste – werden die Gäste mittelfristig vom Raus- und Ausgehen entwöhnt? Ganz im Gegenteil. Einerseits haben die Gäste in der Pandemie das qualitativ hochwertige Kochen wiederentdeckt. Anderer→ seits bestellen sie dadurch gern mal was Besonderes wie Poletto und haben vor allem eines nicht verloren: ihre Sehnsucht da nach, sich gut bekochenundbedienen zu lassen, nachGeschich tenüberEssenundWein, nachGeselligkeit. ImLockdownhaben wir vor allemdenKontakt zuMenschen vermisst. Das kannman ihnenmit zwei JahrenCorona nicht austreiben. Gott sei Dank! Hatte die Pandemie noch anderswo positive Folgen – De- mut zumBeispiel, Achtsamkeit, Entschleunigung? Teilweise schon, aber Letzteres kann ich für meinen Job aus schließen (lacht), dafür stehen wir zu sehr unter dem Strom ständig neuer Herausforderungen. Sie glauben nicht, wie viele Absagen es seit der vierten Welle gerade bei Veranstaltungen oderWeihnachtsfeiern hagelt. Sorgt das im Anschluss dann wenigstens für Stress-Resi lienz in der nächsten Krise? Wir sind definitiv krisenerprobter, aber was jetzt Richtung Winter auf uns zurollt, könnte für all jene Unternehmen und Betriebe, die es so eben durch die ersten drei Wellen geschafft haben, die ultimative Krise sein. Auch, weil alle hier physisch und psychisch am Limit arbeiten, wird es besonders in der Gastronomie noch dieses Jahr ein großes Ladensterben geben. Mit der Konsequenz, dass inhabergeführte Restaurants durch Franchisebetriebe ersetzt werden? Auch wenn familiäre Firmen wie unsere einiges durch Motiva tion und Leidenschaft wettmachen, könnte das dank der Fi nanz- und Marktkraft größerer Ketten sein. Andererseits war die Unterstützung von Stadt und Bund bislang fantastisch. Wer ein gesundes Unternehmen besaß, hat von den Staatshilfen sehr profitiert. Wir werden sehen, ob es die im nächsten Lockdown auch geben wird oder schlimmer noch: ob wir frühere Leistun gen zurückzahlen müssen. Aber größere Sorgen
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