OKTOBER/NOVEMBER 2025
ERIC LEIMANN Renaissance eines Klassikers Der Markt ist fragmentiert wie nie zuvor. Und doch feiert ausgerech- net die Außenwerbung als älteste aller Werbeformen neue Rekorde. Warum? Der Außenwerber Wall ist zusam- men mit seiner Vertriebsmarke WallDecaux Teil des Weltmarkt- führers JCDe- caux. In rund 80 Ländern erwirt- schaftet man ei- nen Jahresumsatz von rund 3,6 Mil- liarden Euro. Deutsche Zen- trale ist Berlin, in Hamburg existiert ein Außenbüro. Deutscher Markt- führer in Sachen Außenwerbung ist Ströer in Köln. Das Unternehmen erwirtschaftete 2024 einen Um- satz in Höhe von 2,05 Milliarden Euro. Digitale Screens verbreiten nicht nur Werbung, sondern auch Informationen. Fehler“, glaubt Ralf Heuel, Geschäftsführer Kreation der Hamburger Werbeagentur Grabarz & Partner. „Er führt dazu, dass sich eine Marke der Publikums wirkung komplett entzieht. Nicht nur ich muss wis sen, dass die Marke ein bestimmtes Image und eine bestimmte Haltung hat.“ Es funktioniere nur dann, wenn alle dies wissen. Wachstumstreiber der Branche sind derzeit di gitale Screens. In sechs bis sieben Sekunden lassen sich darauf ganze Geschichten erzählen. Dass Au ßenwerbung sogar Leben retten kann, zeigten Gra barz & Partner in Zusammenarbeit mit WallDecaux im vergangenen Jahr mit der vielfach ausgezeichne ten Kampagne „Auf den zweiten Blick“ für die Deut sche Depressionshilfe. Mit ungewöhnlichen Motiven traurig, fröhlich undmehrdeutig zu lesender Gesich ter sorgten die Plakate und Infoscreen-Spots für viel Diskussionen und Nachdenken über Depression. Die Botschaft: „Depression ist nicht immer leicht zu er kennen. Schau genau hin und informier dich!“ Digitale Screens im öffentlichen Raum schaffen zudem neue Möglichkeiten der Kontextualisierung von Botschaften. „Wir können den Ort, das Wetter oder die Tageszeit in die Kommunikation einbezie hen“, sagt Ralf Heuel. „Ein nächster Schritt wäre die direkte, individuelle Kommunikation mit den Men schen, die an einer digitalen Out-of-Home-Werbeflä che vorbeigehen.“ Das bedeute: Keine generische Botschaft mehr für alle, sondern eine individuelle Botschaft pro Person. So könnten Werbeflächen bei spielsweise Brillenträger identifizieren und ihnen eine Optikerkette als nahe gelegenes Einkaufsziel vorschlagen. Doch nicht nur Marken freuen sich über die von den Städten vergebenen und kontrollierten Werbe flächen. Kommunen wie Hamburg haben direkten Zugriff auf die Infoscreens, umNachrichten unter das Volk zu bringen. „In den vergangenen zehn Jahren haben sich dank Digitalisierung flexiblere Buchungs möglichkeiten und Mehrwerte für die kommunale Kommunikation ergeben“, berichtet Stephan von Na guschewski. „Das Modulare Warnsystem (MoWaS) des Bundes kann dort integriert werden und infor miert schnell und unkompliziert zu Sturmwarnun gen, Hochwasser oder anderen Notsituationen. Denn imFall der Fälle zählt jedeMinute.“ Im Mai dieses Jahres scheiterte in Hamburg die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren „Hamburg Werbefrei“, weil nur gut 50 000 statt der erforderlichen fünf Prozent der Wahlberechtigten (65 652 Unterschriften) für eine Abstimmung gegen Werbung imöffentliche Raum votierten. Offenbar ist der gegenwärtige Trend ein anderer. D er Anteil von Außenwerbung überstieg im vergangenen Juni erstmals die Zehn-Pro zent-Marke des deutschen Werbemarktes. Die Branche feierte. Warum sind Plakate, City-Light- Poster und digitale Screens im Stadtbild derzeit so erfolgreich? „Außenwerbung entwickelt sich in einer immer fragmentierteren Medienwelt zum letzten Massenmedium“, sagt Stephan von Naguschewski, Leiter des Verkaufsbüros Hamburg von Flächenver markter WallDecaux. „Ins Stadtbild integriert, be gleiten wir Menschen tagtäglich durchs öffentliche Leben, wodurch sichWerbebotschaften einprägen.“ In Zeiten zielgruppengenauer Digitalwerbung und Social Media scheinen Marken und Institutio nen also wieder auf den Kanal „Out of Home“ zu set zen. „Der komplette Rückzug vonWerbung in den di gitalen privaten Raum ist in mancherlei Hinsicht ein HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE 34 FOTO: DAVID GOLTZ/HAMBURGER HOCHBAHN AG AUSSEN WERBUNG Umfrage Der Digitalver- band bitkom hat 603 Unterneh- men mit über 20 Mitarbeitenden in Deutschland zum Einsatz von digi- talen Technolo- gien und KI be- fragt. Einige Er- gebnisse: Fast die Hälfte der Firmen nutzt KI inzwi- schen für Marke- ting und Kommu- nikation. 26 Pro- zent sehen die Existenz ihrer Fir- ma durch KI be- droht, 53 Prozent haben Probleme mit der Digitali- sierung – und 88 Prozent betrach- ten Datenschutz als besonders gro- ßes Digitalisie- rungshemmnis. www.t1p.de/bit- kom-studie2025 Plattform Die KI-Plattform Langdock unter- stützt Unterneh- men dabei, gene- rative KI DSGVO- konform mit in- ternen Daten zu integrieren und Workflows zu automatisieren. www.langdock. com Kurse Zahlreiche Kurse zur Nutzung von KI, den rechtli- chen Rahmenbe- dingungen und eine IHK-Zerti- fizierung zum KI- Manager bietet der Bildungsser- vice der Handels- kammer HKBiS. www.hkbis.de FELIX SCHOEN So klappt der KI-Einsatz Künstliche Intelligenz bietet die Chance, Marketing effektiver und kostengünstiger zu gestalten – vorausgesetzt, man geht strategisch vor und ist sich der Hürden bewusst. Digitalexperte Thomas Roß berät Unternehmen zu Strategie- und Praxisfragen rund um KI – in Audits und Workshops. Vorsicht sei auch bei derWahl der KI-Tools erfor- derlich. „Gratisversionen haben in Betrieben nichts zu suchen, da sie meist erhebliche Datenschutzpro bleme mit sich bringen“, so Roß. Er empfiehlt KMU, frühzeitig Beratung einzuholen und etwa europäi- sche KI-Plattformenwie Langdock zu nutzen. Nötig sei zudem eine systematische Qualitätssi- cherung – schließlich produziert KI häufig Falschaus- sagen. KI, räumt ChatGPT selbst ein, „erfindet Quel- len und Zitate“ und neigt dazu, „plausibel klingende Prozentwerte oder Marktgrößen“ statt echter Werte anzugeben. „KI ist keine Faktenquelle, sondern gene- riert Vorschläge“, erklärt ChatGPT. „Sprachmodelle optimieren auf Stimmigkeit, nicht aufWahrheit.“ Nutzende sollten die KI daher anweisen, sichere und unsichere Infos zu unterscheiden, sowie Quellen anfordern und prüfen, sagt Roß. Sinnvoll sei es auch, die KI-Recherche und -Analyse auf interne, geprüfte Datenquellen zu begrenzen. Der KI-Einsatz erfordert also einige Mühe. Doch ähnlich wie Google & Co. wird KI im Büroalltag bald selbstverständlich sein: nicht als Wunderwerk, son- dern als Hilfsmittel – das sogar erläutert, wieman da- mit umgehen sollte, wennman denn nachfragt. M it generativen KI-Modellen wie ChatGPT las- sen sichMarketingkosten sparen und Routi- neaufgaben effizienter erledigen. Doch ge- rade bei kleineren Unternehmen (KMU) ist die Unsi- cherheit groß: Wo und wie kann ich KI am besten einsetzen? Undwelche Gefahren lauern? „KI kann weit mehr als Texte erstellen“, erklärt der zertifizierte KI-Berater Thomas Roß, Inhaber der Firma TR3M. „KI-Tools helfen auch, Märkte und Ziel- gruppen zu verstehen, Werbekampagnen auszuwer- ten und aus Daten Handlungsempfehlungen abzulei- ten.“ Als Beispiele nennt erWettbewerbsanalysen, das Beobachten von Trends oder die Auswertung von Kundendaten zwecks gezielter Ansprache und dem Erstellen typischer Nutzergruppen („Personas“). „KI kann auch ermitteln, was in einer Kampagne funktio- niert hat undwas nicht. Sie analysiert Kennzahlen, er- stellt Reports und zeigt, welcheMaßnahmenwirken.“ Klare Strategie erforderlich Roß empfiehlt, die Tools schrittweise einzuführen, um Vertrauen zu schaffen. „Zunächst sollten KMU sich fragen: Welche Aufgaben kosten uns im Marke- ting am meisten Zeit und Geld – und wo ist der Lei- densdruck am größten?“, so der KI-Berater. „Genau dort lohnt es sich, zuerst auf KI zu setzen.“ Danach sei es sinnvoll, zunächst mit einem kleineren Pilot- projekt zu starten und die Erfahrungen auszuwer- ten, bevor weitere Mitarbeitende an Bord geholt und die KI-Einsatzzwecke erweitert werden. Sehr wichtig sei dabei, alle Beteiligten zu schu- len: Wie stelle ich die richtigen Fragen? Welche Da- ten darf ich eingeben – und welche nicht? Wie prüfe ich Ergebnisse? „Ein häufiger Irrtum lautet: Mitar- beitende könnten KI intuitiv richtig einsetzen“, sagt Roß. „Doch privat ChatGPT zu nutzen heißt noch lange nicht, es professionell zu beherrschen.“ Der Experte berichtet von einem Fall aus seiner Beratungspraxis, bei dem eine Führungskraft im Rahmen des Ausprobierens von KI-Tools „mal eben“ vertrauliche Finanzdaten in ein frei verfügbares Tool eingab. „Ohne Regeln wird es schnell gefährlich. Fir- men müssen Abläufe festlegen, damit Ergebnisse re- produzierbar und rechtssicher werden, und brau- chen verbindliche KI-Richtlinien, umnicht gegenDa- tenschutz- und Compliance-Regeln zu verstoßen.“ WWW.HK24.DE 35 DIGITAL STRATEGIE FOTO: TR3M
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