OKTOBER/NOVEMBER 2025
Uschi Neuss, Geschäftsführerin von Stage Entertainment Deutschland, sprach mit der HW darüber, wie sehr sich Hamburg als Musical-Standort in den vergangenen 25 Jahren gewandelt und etabliert hat. USCHI NEUSS studierte Ge- schichte, Theater-, Film- und Fernseh- wissenschaften, Englisch, Deutsch und Kunstge- schichte an der Uni Köln. Nach dem Wechsel in die The- aterbranche mit Stationen in Duis- burg, Essen und Hamburg begann im Jahr 2000 ihre Karriere bei Stage Entertain- ment Germany. Seit 2013 ist sie Geschäftsführerin des Unternehmens und verantwortlich für rund 300 Mil- lionen Euro Jah- resumsatz sowie circa 1400 Mit- arbeitende. Unter ihrer Leitung hat Stage mehr als 30 neue Musicals nach Deutschland geholt, eigene Pro- duktionen sowie Kooperationen vorangetrieben und die jährliche Zahl der Gäste auf fast vier Mil- lionen erhöht. STAGE ENTERTAINMENT GERMANY ist die größte Ge- sellschaft inner- halb der interna- tionalen Unterneh- mensgruppe, die der US-Medien- gruppe Advance Publications ge- hört. Sie beschäf- tigt weltweit rund 2300 Mitarbei- tende und betreibt 17 Theater, davon fünf in Hamburg (insgesamt acht in Deutschland). Das Musical „MJ“ über Michael Jackson feierte am 1. Dezember 2024 Premiere im Stage Thea- ter an der Elbe und knackte Anfang August die Marke von 500000 verkauften Tickets. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg? Uschi Neuss: Wir wollten die Show unbedingt ma- chen, weil die Musik unglaublich stark ist. Michael Jackson hat immer noch ein riesiges Fanpublikum in Deutschland. Und selbst wennman denkt, man ist gar kein Michael-Jackson-Fan: In demMoment, wenn die Musik losgeht, da gehen auch die Emotionen mit ei- nemdurch. Das ist der stärkste Faktor der Show. Was bedeutet solch ein großer und auch schnel- ler Erfolg für Hamburg? Hamburg ist der Standort, an dem wir gerne präfe- riert unsere neuen Shows starten. Das ist mittler- weile international anerkannt. Die großen Lizenz- geber wollen mit ihren Shows nach Hamburg kommen. Die Stadt hat sich über die Jahrzehnte zum Musical-Standort schlechthin entwickelt, zur Nummer eins in Deutschland. Die Menschen reisen aus ganz Deutschland nach Hamburg, um ein Musi- cal zu sehen. Ein so großer Erfolg wie „MJ“ zahlt stark auf diese touristische Komponente ein. Und dank unserer weit in die Zukunft reichenden Vor- verkaufszeiträume können die Gäste ihreHamburg- Musical-Reise genau und langfristig planen. Seit die Stage Entertainment 2000 an die Elbe kam, sind Sie dabei. Was hat sich im Kulturbe- reich seitdem verändert? Früher gab es noch eine viel stärkere Trennung zwi- schen sogenannter gehobener Kultur und Unterhal- tungs-„Industrie“. Das hat sich sehr verändert. Durch Darstellende, die in beiden Bereichen tätig sind. Durch die Gäste, die diese Schere meist gar nicht imKopf haben. Und durch den Austausch aller Theater, der sich während der Pandemie noch ein- mal intensiviert hat. Zum Beispiel nehmen wir 2025 am Saison-Eröffnungskonzert der Staatsoper teil. Vor 25 Jahrenwar das GenreMusical inDeutschland und Hamburg zwar schon etabliert mit „Cats“ und „Phantom der Oper“. Als wir dann aber den „König der Löwen“ hierhergebracht haben, hat das noch einmal die Tore geöffnet und uns bei den internatio- nalen großen Lizenzgebern ganz weit nach vorne ge- spielt. Unsere Partnerschaft mit Disney ist begrün- det auf diesem Erfolg, der uns seit 25 Jahren trägt. Und das hat ganz viel nach sich gezogen. PERSÖNLICH USCHI NEUSS War das Ziel von Anfang an die Expansion, also weitere Häuser zu eröffnen und zu bespielen? Wir haben eine ganz klare Ambition zu wachsen. Wir betreiben jetzt vier Theater inHamburg. Und das wird nicht das Ende sein.Wir denken sehr konkret darüber nach, wie wir den Hamburger Markt noch besser ge- stalten können. Wir haben viele Stücke zur Auswahl. Manchmal drückt bereits die nächste Show. Und ein Musical muss Platz machen für ein neues. Das ist eine tolle Entwicklung, die wir so lange nur vom Broadway kannten. Mit unserem Stuttgarter Markt mit zwei Theatern könnenwir unsere Laufzeiten zudemhäufig noch verlängern. Das heißt: Mit einer Show, die wir in Hamburg national bekannt gemacht haben, können wir auch ein Erfolgsversprechen geben. Wir setzen auf eineMischung aus großenMarkenund etablierten Titeln sowie ganz neuen Shows, bei denen wir dann auch ins volle Risiko gehen, um so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Sie probieren viel Neues aus. Gibt es Investitio- nen, die nicht so aufgehen wie erhofft? Selbstverständlich. Wenn wir eine neue Show in den Markt bringen, wissen wir nicht, ob sie ihr Publikum findet. Das ist Teil unseres Geschäfts: dieses Risiko be- wusst und freudig einzugehen. Wir spielen jede neue Show mindestens ein Jahr. Und das acht Mal die Wo- che. Unser Ziel ist es, unsere Produktionsinvestitio- nen innerhalb eines Jahres zurückzuverdienen. Meis- tens klappt es, manchmal nicht. „Hamilton“ zum Beispiel haben wir nach einem guten Jahr gestoppt. Die Show hat uns aber extrem viel Freude gemacht und uns ein tolles Renommee beschert. Allein die „NewYork Times“ hat uns dazu drei Artikel gewidmet. „Hamilton“ war nicht so erfolgreich wie die eng- lische Version am Broadway, aber die Kombina- tion von Rap und US-Geschichte hat doch jün- gere Gäste angesprochen. War das auch eine Investition in neue Zielgruppen? Das ist genau die Frage: Wiemesse ich Erfolg?Wenn ich jemanden das erste Mal in eine unserer Shows bekomme und die Person hat ein Aha-Erlebnis, was Musical alles sein kann, und sie kommt wieder – das ist Gold wert. Diesen Effekt sehen wir gerade sehr deutlich bei unserem Musical „& Julia“, das die Ge- schichte von Shakespeares „Romeo und Julia“ wei- tererzählt und in einer fröhlichen Erzählform sehr heutige Themen besetzt. Eine zeitgemäße Show, die uns auch innerhalb des Unternehmens die Augen und Seelen geöffnet hat. So kann sich das Genre weiterentwickeln. Die Show resoniert so gut mit unserem Publikum, dass wir sehr erfolgreich Sing- Along-Shows zumMitsingen anbieten. Wie haben sich die Ansprüche des Publikums in den vergangenen 25 Jahren denn verändert? Es gibt zum Glück nicht das eine Musical-Publikum. Insgesamt sehen wir aber für den deutschen Markt: UnsereGästemögendie großeAusstattung, die große Show. Es gibt eine hohe Bereitschaft, viel Geld auszu- geben für ein besonderes Ereignis. Dazu gehört eine gewisse Opulenz. Mit der Zeit haben sich auch Seh- und Hörgewohnheiten verändert. Alles ein bisschen schneller, ein bisschen lauter und ein bisschen kna- ckiger. Shows, die über die Drei-Stunden-Grenze ge- hen, sind eher zu lang. Auch mit dem gestiegenen Wunsch, das Gesehene in den sozialen Medien zu posten, gehenwir sehr positiv und proaktiv um. Kurz vor und am Ende der Show gibt es Momente, bei de- nen die Leute mitfilmen und fotografieren dürfen. Wir wollen da keine Verbotskultur wie amBroadway. Denn für vieleMenschen gehört diese Kultur des Tei- lens zum emotionalen Erlebnis dazu. Wie sind Sie den digitalen Wandel angegangen, zum Beispiel in Bezug auf das Ticketing? Innovationen und technische Entwicklungen schei- nen sich aktuell zu beschleunigen. Allerdings gab es in Marketing und Vertrieb nie eine Zeit, in der es keine Veränderungen gab. Dieser Bereich musste sich im- mer anpassen: Wie informiert sich der Gast? Wie kauft der Gast?Was muss ich dafür tun? Von der klas- sischen Vorverkaufsstelle bis zum Mobilgerät: Wir machen jede Entwicklungmit, umso nahwiemög- → WWW.HK24.DE 19
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