OKTOBER/NOVEMBER 2024
Ist die KI-Verordnung der EU ein Wettbewerbs- nachteil für europäische, also auch für Hamburger Firmen? Die KI-Verordnung baut Vertrauen auf Hanne Butting (32), Co-Founder Beyond Emotion Beyond Emotion hat ein Senioren-Tablet ent wickelt, das Familien näher zusammenbringt und älteren Menschen mehr Sicherheit sowie Unabhän- gigkeit ermöglicht. Das BEJOY-Tablet mit intelli- genter Stimmungs- und Abwesenheitserkennung informiert Angehörige bei signifikanten Verände- rungen. Unser Ziel ist es, pflegende Angehörige zu entlasten und älteren Menschen zu ermöglichen, länger zu Hause zu leben. Beyond Emotion betrachtet die in der KI-Verord- nung enthaltenen Beschränkungen als nützliche rote Linien, die dazu beitragen können, Vertrauen in die Nutzung dieser Technologien aufzubauen. So ist die KI-Verordnung eine Möglichkeit, sozial orientierte Innovationen zu fördern, weil bestimmte Anwen- dungen und Bereiche eingeschränkt werden. Ein starkes regulatorisches Umfeld wird zudem Unter- nehmen unterstützen, die ihre Verantwortung für den Datenschutz ernst nehmen. Ältere Menschen, vor allem hier in Deutsch- land, fragen immer, wie mit ihren Daten um gegangen wird. Wir haben sehr viele Ressourcen in dieses Thema gesteckt und damit zum Beispiel er- reicht, dass unsere KI direkt auf dem Tablet funk tioniert. Unser Ziel war es, dass die Information dort verbleibt und keine Bilddaten in die Cloud ge- streamt werden. Wir glauben fest daran, dass KI bei der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen in unter- schiedlichen Branchen in Betracht gezogen werden sollte. Unser Wunsch als Beyond Emotion ist, dass das Gesetz ein Ansporn ist, neue Technologien zum Wohle unserer Gesellschaft zu schaffen und die Branche durch die KI-Verordnung in eine sozialere Richtung gedrängt wird. Wettbewerbsnachteile durch zu große Hürden Elisabeth L’Orange (41), Co-Founder Oxolo Unser 2020 gegründetes, mehrfach ausgezeichnetes Start-up Oxolo setzte auf generative KI-Lösungen für Text-to-Video-Anwendungen. Auf Basis von Textinfor- mationen wurden Bewegtbildinhalte für Online-Han- del,Marketing undunternehmensinterneRessourcen erschaffen. Unser Produkt sorgte beispielsweise für Erklärvideos mit Avataren, die als digitalisierte Men- schennicht unterscheidbar vomOriginal waren. In der KI-Verordnung wären wir damit aber wohl unter die Risikogruppe 2 „Hohes Risiko“ gefallen, weil es als Deepfake (KI-Fälschung) gilt. Kein Anwalt konnte uns garantieren, wie unser Produkt klassifi- ziert werden würde. Wir haben unser Geschäftsmo- dell nun eingestellt und arbeiten inHamburg an etwas Neuem. Als kleines Unternehmen kann man es sich nicht leisten, so sehr ins Risiko zu gehen, dassmandas Produkt am Ende nicht durch die Verordnung bringt. Selbst, wenn es nach unseren Maßstäben harmlos und wirtschaftlich vor allem für viele kleine Unter- nehmen sehr hilfreich gewesen wäre. Sogar, wenn es erlaubt worden wäre – es wäre ein ziemlicher Auf- wand durchdie EU-Verordnung auf uns zugekommen. Ich finde, dass KI reguliert werden muss, aber es geht um die Art und Weise. Wir haben in Europa und damit auch in Hamburg Wettbewerbsnachteile, weil andere Länder undKontinenteKI ganz anders regulie- ren. China ist uns in der Regulatorikweit voraus, denn siehaben schon länger einKI-Gesetz. Natürlichgeht es da auch umdie Übereinstimmungmit der Partei, aber es ist eben alles klar geregelt. Die USA hingegen regu- lieren vertikal. Das heißt: Man löst alle Fragen, die KI aufwirft, über bereits bestehende Gesetze. So könnte man es auch hier machen, aber stattdessen legt sich eine komplizierteVerordnungwie eine schwereDecke über die gesamte europäische KI-Industrie. Seit dem 1. August 2024 teilt die KI- Verordnung der EU neue und be- stehende Produk- te, die mit Künst- licher Intelligenz arbeiten und im EU-Gebiet einge- setzt werden, in die Gruppen „Un- annehmbares Risi- ko“, „Hohes Risiko“ und „Geringes Ri- siko“ ein. Unan- nehmbar ist bei- spielsweise Social Scoring (soziale Bewertung) bei potenziellen Kre- ditnehmern oder anderen Men- schen, die von der KI „durchge- scannt“ werden – solche Produkte werden verboten. Andere müssen Konformitätser- klärungen abge- ben oder Quali- tätsmanagement- Systeme einführen („Hohes Risiko“), um Risiken für be- troffene Personen zu minimieren. ERIC LEIMANN HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE 16 FOTOS: DOMINIK MÜLLER, CAROLIN THIERSCH PRO & KONTRA
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