Oktober/November 2023

Sollte ein verbilligter Industriestrompreis eingeführt werden? Ja, hohe Stromkosten sind ein Standortnachteil Roland Harings (60), CEO Aurubis AG Die hohen Stromkosten in Deutschland sind zum kla­ ren Standortnachteil geworden, vor allem im Ver­ gleichmit China unddenUSAoder direktenNachbarn wie Frankreich. Damit steht Deutschlands Wett­ bewerbsfähigkeit auf dem Spiel. Die hohen Preise für Energie belasten besonders die energieintensive Metallbranche. Das ist kontraproduktiv, denn Metalle wie Kupfer, AluminiumundNickel bildendie Basis für die grüne Transformation. Die Wirtschaft steht vor einer großen He­ rausforderung: Dem Dekarbonisieren ihrer Pro­ zesse. Aurubis investiert massiv in eine klimaneu­ trale Produktion, die wir deutlich vor 2050 erreichen wollen. Wir bereiten uns auf den Einsatz vonWasser­ stoff vor und elektrifizieren weiter unsere Produk­ tion. Die Industrie braucht nun eines: wettbewerbs­ fähigen Strom. Die Bundesregierung verspricht, dass es zu Beginn der nächstenDekade ausreichend preis­ werten Strom aus erneuerbarer Erzeugung geben wird. Jedoch ist der Weg dahin für die Industrie, die im internationalenWettbewerb steht, zu lang. Bis dahin brauchen wir einen niedrigen Strom­ preis für die Industrie. Ermuss die Brücke schlagen in die erneuerbare Energiezukunft – dies ist auch ohne hohe Subventionen und durch das Reaktivieren von Steinkohlekraftwerken in Verbindung mit dem Auf­ bau von CCS (Carbon Capture and Storage) sogar CO2- arm möglich. So lässt sich schnell eine wettbewerbs­ fähige und verlässliche Stromversorgung erreichen. Lässt der Staat wichtige Branchen im Stich, sieht es für die noch starke Industrielandschaft in Deutsch­ land schlecht aus. DaranhängenArbeitsplätze, Steuer­ einnahmen, Wohlstand und sozialer Frieden. Nur mit einem sowohl kurzfristig als auch dauerhaft deutlich niedrigeren Industriestrompreis kann Deutschland zumVorreiter inder nachhaltigenProduktionwerden. Nein, das erscheint kaum rechtfertigbar Prof. Dr. Michael Berlemann (55), Wissenschaftlicher Direktor HWWI Der derzeit diskutierte verbilligte Industriestrom­ preis soll helfen zu verhindern, dass energieintensiv produzierende Unternehmen aus Deutschland ab­ wandern. Tatsächlich erleiden die deutschen Unter­ nehmen im internationalen Wettbewerb durch die Folgen der CO2-Bepreisung einen Nachteil. Allerdings erhalten stromintensiv produzierende Betriebe bereits knapp drei Milliarden Euro an Beihil­ fen, mit denen dieser Nachteil durch die Politik beein­ flusster Preise ausgeglichen werden soll. Eine hierü­ ber hinausgehende Subventionierung in Form eines Industriestrompreises erscheint kaumrechtfertigbar. Jedes Unternehmen ist spezifischenRisiken aus­ gesetzt, dazu gehören auch Risiken aus ungünstigen Preisentwicklungen von Energie oder Rohstoffen. Steigende Preise senden das Signal, mit den entspre­ chenden Gütern (hier Energie) besonders sparsam umzugehen und Effizienzsteigerungspotenziale zu nutzen. Diese Preissignale gerade bei energieintensiv produzierenden Großunternehmen auszusetzen, also bei denen, die die größten Einsparpotenziale ha­ ben, erscheint widersinnig. Es ist in einer Marktwirtschaft auch nicht zu rechtfertigen, warum spezifische Risiken einzelner Branchen über Subventionen zu Lasten anderer Branchen abgesichert werden sollen. Man wird auch nicht die holzverarbeitende Industrie subventionie­ ren wollen, nur weil die Holzpreise steigen. Es ist vor allem Aufgabe der Unternehmen selbst, mit solchen Geschäftsrisiken umzugehen. Das gilt auch für große Industrieunternehmen. Subventionen eignen sich nicht, dauerhaft die Standortbedingungen zu verbes­ sern. DieMittel würden besser zumAusbau Erneuer­ barer Energien eingesetzt. Dies käme über sinkende Strompreise allen Unternehmen dauerhaft zugute. Im Gesamtinteres­ se der Hamburger Wirtschaft setzt sich die Handels­ kammer für eine bezahlbare und chancenorientier­ te Transformation hin zur Klimaneu­ tralität der Hanse­ stadt bis 2040 ein. Im Kontext der EU-weiten Strate­ gie zur Reduktion aktueller Abhän­ gigkeiten bei stra­ tegischen Res­ sourcen entsteht allerdings ein Spannungsfeld zwischen massiv steigenden Substi­ tutionskosten und der Vermeidung von Carbon Leakage durch Deindustrialisie­ rung. In der De­ batte um notwen­ dige Ausgleichs­ maßnahmen wie etwa einen tem­ porären Transfor­ mationsstrompreis plädiert die Han­ delskammer für marktorientierte Lösungen, die ohne Lasten für gegebenenfalls nichtsubventio­ nierte Unterneh­ men erfolgen. RUDOLF NEUMÜLLER HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE 18 FOTOS: AURUBIS, HWWI PRO & KONTRA

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