Oktober/November 2021

HAMBURGER WIRTSCHAFT 18 FOTOS KLAUS NORRIS NATHER, REICHSHOF HAMBURG PRO & KONTRA Laut einer Online- Umfrage, die das britische Marktfor- schungsinstitut YouGov imMai 2020 in Deutsch- land durchführte und an der insge- samt 970 Personen ab 18 Jahre teilnah- men, erachteten rund 8 Prozent der Frauen geschlech- tergerechte Spra- che, sogenanntes Gendern, als „sehr wichtig“. Unter den befragten Männern waren etwa 6 Prozent ebenfalls dieser Meinung. Für 28 Prozent der Frauen, die sich an der Umfrage betei- ligten, war Gendern hingegen „sehr unwichtig“, die Männer teilten diese Ansicht zu 34 Prozent. Gleich- stand lag vor bei der Beantwortung der Frage, ob ge- schlechtergerechte Sprache „eher wichtig“ sei: Sowohl die befragten Männer als auch die Frauen kamen auf rund 18 Prozent. Für 25 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer war das Thema „eher unwichtig“. Gleiche Chancen für alle Lizzy Wazinski (53), Geschäftsführerin filia.die frauenstiftung Ja, denn Sprache hat eine Auswirkung darauf, wie wir dieWeltwahrnehmen. EinBeispiel:Wennwir ein Kind bi en, sich zwei Polizisten vorzustellen, dann denkt es an zwei Männer in Uniform – nicht an Frauen. Das haben Studien immer wieder bewiesen. Eine Sprache, in der Personenbezeichnungenmänn- lich sind, macht also mindestens die Hälfte der Gesellscha unsichtbar. Dasswir heute von „Kundin- nen und Kunden“, von „Kolleginnen und Kollegen“ sprechen und damit Frauen sichtbar machen, ist ein feministischer Erfolg, der lange erkämpft werden musste. Nun geht es darum, auch diejenigen sichtbar zu machen, die nicht in das binäre Schema Mann-Frau passen. O höre ich dann das Gegenargument, dass es sich hier nur um eine kleine Gruppe von Men- schen handele. Aber genau daran muss sich eine zu- kunftsfähige Gesellschaft doch messen: dass sie niemandenmarginalisiert. Bei filia geht es uns um Veränderung: Change, not Charity. Wir fördern Akteur:innen, die sozialen Wandel zum Ziel haben. Frauen, Trans- und Inter- Personen sind auf vielen Ebenen benachteiligt – denken wir an niedrigere Löhne, an Altersarmut, an Stigmatisierung bis hin zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Wir setzen uns ein für eineWelt, in der Men- schen aller geschlechtlichen Identitäten die gleichen Freiheiten und Chancen haben. Diese Vision teilen wirmit vielen. Aktuell kooperieren wir mit zwei jungen Unter- nehmen, für die es selbstverständlich ist, alle Geschlechter mitzudenken und sprachlich sichtbar zu machen. Denn nur, wenn sich alle angesprochen fühlen – Frauen, Männer, Trans- und Inter-Personen – könnenwir gemeinsametwas bewegen. Sprache ist ein wichtiges Puzzleteil auf dem Weg zu einer geschlechtergerechtenWelt. Taten zählen Kathrin Wirth-Ueberschär (52), General Manager Reichshof Hamburg Eine Umgestaltung der Sprache verändert nicht automatisch das Denken und Handeln der Men- schen. Denn was nützt es, wenn das Gesagte nicht den Umgang miteinander widerspiegelt. Durch das Gendern werden Männer und Frauen nicht zwangs- läufig ebenbürtig behandelt, und auch bei kulturel- len Verschiedenheiten sehe und erlebe ich immer wieder, wieUnterschiede gemacht werden. Die gendergerechte Sprache tut auf den ersten Blick etwas für die Gleichstellung, aber wenn man genauer hinschaut, dann ändert siewenig imDenken und Verhalten der Menschen. Taten sprechen viel- mehr für Gleichberechtigung – wie die gegenseitige Akzeptanz der verschiedenen Lebensstile, von der gleichgeschlechtlichen Liebe bis hin zu modernen Familien- undRollenbildern. O bekommen Frauen die Frage gestellt, wie sie Karriere machen können, obwohl sie eine Familie haben. Männern wird so eine Frage gar nicht oder nur sehr selten gestellt. Das Verständnis und die Akzeptanz für eine Karriere oder auch eine Liebe, die noch vor ein paar Jahrzehnten nur selten frei ausge- lebt wurde, ist Gleichberechtigung und nicht die gen- derkonforme Sprache, die uns beigebracht wurde. Die Hotellerie lebt von dieser Vielseitigkeit der Menschen, ihrer unterschiedlichen Kulturen, Reli- gionenundHautfarben. ImTeam, und auchbei unse- ren Gästen im Reichshof Hamburg, werden die Unterschiede akzeptiert und bestmöglich in den Ab- lauf sowie indenAufenthalt des Gastes integriert. Gleichberechtigung ist ein viel größeres und wichtigeres Thema, als dass man es auf die gender- gerechte Sprache reduzieren kann. Worte sind leicht gesagt und lassen sich einstudieren, sodass sie selbst- verständlich werden. Viel wichtiger sind aber Wert- schätzung und Respekt, die wir jeden Tag jedem Menschen gegenüber zeigen. Fördert geschlechtergerechte Sprache die Gleichberechtigung?

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz