Oktober / November

HAMBURGER WIRTSCHAFT 60 CORONA AUSWIRKUNGEN AUFGEZEICHNET VON BIRGIT REUTHER FOTOS JÉROME GERULL, BERND JONKMANNS D er spannendste Moment der vergangenen Wochen war die Wiederöffnung unseres Musikclubs. Am4. September fand das erste Konzert seit fast sechs Monaten statt. Ich bin glück- lich, dass wieder Leben in der Bude ist. Wenn auch mit reduzierter Kapazität. Normalerweise haben im „Nochtspeicher“ auf 185 Quadratmetern 300 Gäste Platz – im Stehen. Zum Neustart hat die Folk-Band „Janne“ vor 60 sitzendenMenschen gespielt. Umdie Corona-Auflagen einzuhalten, haben wir unsere Spielstätte in einen gemütlichen Jazzclub umge- wandelt – mit kleinen Tischgruppen, die in ausrei- chender Distanz zueinander stehen. Zudem haben wir den Posten des Indoor-Managements geschaf- fen, um die Besucher pandemiegerecht zu platzie- ren. Der Auftakt hat gut funktioniert. Viele aus dem Publikum kamen zu uns, um sich für den Abend zu bedanken. Es ist auf allen Seiten ein unglaublicher Hunger nach Kultur und Live-Musik zu spüren. Ökonomisch betrachtet, ist solch eine Veranstal- tung unter Hygienemaßgaben allerdings nur mit Subventionen zu realisieren. Um den „Nochtspei- cher“ mit Mobiliar, Hinweisschildern und Desin- fektionsspendern auszustatten, haben wir eine Förderung der Hamburger Investitions- und För- derbank verwendet. Mit der Show von „Janne“, die wir als Club selbst gebucht haben, haben wir ein Fünftel der üblichen Ticketeinnahmen und ein Viertel des Gastronomieumsatzes erzielt. Die Hamburger Clubstiftung, zu de- ren Vorstand ich gehöre, arbeitet derzeit gemeinsam mit der Stadt an e i n em Fö r d e r p r o g r amm f ü r Indoor-Konzerte im nahenden Corona-Winter. Die Kulturbehörde wünscht sich ja ausdrücklich, dass die Kulturproduktion wieder an- läuft. Aber das ist nur möglich, wenn die rund 80 Prozent Einnahmen, die pro Konzertabend ausbleiben, fehl- bedarfsfinanziert werden, damit die Clubs zumindest auf null kommen. Ein winziger Lichtblick ist, dass unsere Gäste im Sitzen bei Tischbedienung mehr und auch teu- rere Getränke konsumieren als bei Stehkonzerten. Normalerweise gilt: Ein Pro-Kopf-Konsum von 10 Euro ist schon ein richtig guter Abend. Bei der Show von „Janne“ lag dieser Wert bei 9,50 Euro, bei einem Swing-Konzert wenige Tage später sogar bei 12,70 Euro. Momentan planen wir bis Jahresende mit 10 bis 15 Veranstaltungen pro Monat. Während wir sonst mindestens ein halbes Jahr Vorlauf haben, buchen wir derzeit vieles kurzfristig innerhalb weniger Wochen. Wichtig ist, ein Signal zu senden, dass Live-Musik wieder stattfinden kann, wenn sich alle an die Spielregeln halten. Wie gut, respektvoll und lösungsorientiert das klappen kann, hat das Reeperbahn Festival Mitte September gezeigt, das mit 1,9 Millionen Euro von Bund und Land subventioniert wurde. Der „Nocht- speicher“ war eine von 20 teilnehmenden Open-Air- und Clubbühnen. Und obwohl wir alte Hasen sind, hatten mein Team und ich Respekt vor diesem ers- ten Festival unter Pandemiebedingungen. Alles lief aber äußerst diszipliniert und entspannt ab. Ich hätte im Frühsommer nicht gedacht, dass wir das Festival wirklich erleben dürfen. Jetzt geht es da- rum, die kommendenMonate zu überstehen und zu gestalten. Mein Corona-Tagebuch Tino v. Twickel erläutert seit April, wie sein Musikclub von der Pandemie betroffen ist. Jetzt hat er den „Nochtspeicher“ wiedereröffnet und zieht Bilanz zum Reeperbahn Festival. Tino v. Twickel ist seit 2014 künst- lerischer Leiter der Musikclubs „Nochtspeicher“ und „Nocht- wache“ auf St. Pauli, wo er für Booking und PR verantwortlich ist. Zudem engagiert er sich ehrenamt- lich in den Vorständen der Verbände Club- kombinat Ham- burg und Club- stiftung. Zuvor hat er unter ande- rem die Bands „Rhonda“ und „Cäthe“ als Mana- ger betreut. Tino v. Twickel hat seinen „Nochtspeicher“ in einen Jazzclub verwandelt.

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