August/September 2022

Tragen E-Scooter zur nachhaltigen Verkehrswende bei? Sie haben ihre Berechtigung Katja Diehl (48), Gründerin She Drives Mobility Eines vorweg: Dass E-Scooter immer wieder behin- dernd für andere auf Gehwegen abgestellt werden, stimmt. Das liegt jedoch nicht an den Anbieter:in- nen dieser Leihservices, sondern an den Nutzer:in- nen und dem Mangel an Abstellflächen. Andreas Scheuer hat in seiner Amtszeit entschieden, diese Form der Mikromobilität zuzulassen, ohne den Stadtraum neu aufzuteilen. Aber genau dieses Muts hätte es bedurft, um die heutigen Probleme von Be- ginn an zu vermeiden. Denn im Mobilitätssystem haben die Scooter ihre Berechtigung. Für Menschen mit Einschrän- kungen schaffen sie zum Beispiel völlig neue Mög- lichkeiten. Scooter allein werden keine Autos ab- schaffen, das kann nur ein koordiniertes System von Mobilitätsangeboten. Das hat auch der Ham- burger Verkehrsverbund erkannt und mit switchh eine Plattform geschaffen, auf dem neben dem ÖPNV auch Carsharing, Fahrräder und Scooter buchbar sind. Die Vorwürfe gegenüber E-Scootern, dass sie den Gang zu Fuß oder das Fahrrad ersetzen, im Weg he- rumstehen und eine schlechte Ressourcenbilanz aufweisen, treffen allesamt auch auf Pkwzu. An diese haben wir uns jedoch gewöhnt. Weil wir „das Neue“ immer schneller ablehnen als das Gewohnte, das ge- gebenenfalls sogar schädlicher ist. Scooter-Anbieter wie TIER sind von Beginn an mit einem hohen Anspruch an Nachhaltigkeit ange- treten, und imGegensatz zu Autoherstellern erfüllen sie diesen auch. Ihr Produkt ist vollelektrisch, modu- lar recycelfähig und mehrere Jahre haltbar. Die At- traktivität einer Stadt wie Hamburg liegt hinter den Privilegien der Pkw. Lassen Sie uns diese fair und zu- gunsten der Lebensqualität unserer Perle aufteilen. Sie verursachen viele Probleme Murat Bayram (46), Geschäftsführer EMR European Metal Recycling GmbH „Jeder will zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß“ – diese Aussage des Politikers Alois Glück ist aus Sicht der Kreislaufwirtschaft heute relevanter denn je. Wir bringen in immer kürzerer Zeit immer mehr Pro- dukte auf den Markt. Und das, ohne uns Gedanken darüber zu machen, inwieweit sie nach ihrem Le- benszyklus recycelt werden können. Der E-Scooter etwa ist ein Produkt, das in den letzten Jahren viele Probleme auf Recyclinghöfen verursacht hat, unter anderem Brände. Mir ist klar, dass wir uns im Be- reich Innovation immer weiterentwickeln müssen. Aber wie definieren wir „gute“, nachhaltig gedachte Innovation? Und wie grenzen wir sie ab gegen ein rei- nes Fluten unseres Konsummarktes mit vermeint- lich grünen Produktenwie demE-Scooter? Wir importieren Produkte, ohne zu wissen, was mit ihnen geschieht, nachdem wir sie nach dem zeit- weisen Gebrauch entsorgen. Wir verbrauchen doppelt so viele Ressourcen wie die Welt uns zur Verfügung stellt. Die Utopie, dass die Elektrifizierung der Mobili- tät grün sei, ist so valide wie die Quadratur des Kreises. Kobalt etwa kommt hauptsächlich aus der Demokrati- schenRepublikKongo. Umalsoweniger konfliktreiche Rohstoffe zu verbrauchen, sollten wir diese nur dort einsetzen, wodieMobilität sieunbedingt erfordert. „Jeder will zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß“ ist relevant nicht nur mit Blick auf Rohstoff-Überkon- sum und Müllproduktion, sondern auch mit Blick auf die Gesundheit. Die Fitness von Kindern etwa ist heute bedeutend schlechter als vor 30 Jahren. Die Weltge- sundheitsorganisation empfiehlt für sie täglich min- destens 60 Minuten körperliche Aktivität. Auf dem E- Scooter aber bewegen sie sich ungefähr so viel wie ein Faultier in den Regenwäldern Südamerikas. Früher warnicht allesbesser,manches aber sehr viel besser. Nur E-Scooter mit Betriebserlaubnis sind legal. Helm und Führerschein sind nicht vorgeschrieben, allerdings unterliegen die Scooter der Versicherungs- pflicht. Die Elektrokleinstfahr- zeuge-Verordnung (eKFV) regelt die Verwendung dieser Fahrzeuge – unter anderem auch, wo sie fahren dürfen. Das ist auf Radwegen, Radfahrstreifen und in Fahrrad- straßen der Fall. Nur wenn diese fehlen, darf auf die Fahrbahn ausgewichen werden. Auf Gehwegen, in Fuß- gängerzonen und in Einbahnstraßen entgegen der Fahrtrichtung sind Scooter verboten. Bei Verbot der Einfahrt bei Einbahnstraßen gilt das Zusatzzei- chen „Radfahrer frei“ auch für Scooter. Die Nutzung auf anderen Verkehrs- flächen kann durch das Zusatzzeichen „Elektrokleinst- fahrzeuge frei“ (§ 10 Absatz 3 eKFV) erlaubt werden. 52 HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE FOTOS: AMAC GARBE, PRIVAT PRO & KONTRA

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