August / September 2020

WWW.HK24.DE 53 CORONA -AUSWIRKUNGEN AUFGEZEICHNET VON BIRGIT REUTHER; FOTOS: BERND JONKMANNS Mein Corona-Tagebuch Clubbetreiber Tino v. Twickel schildert auch in dieser HW, wie seine Spielstätte auf St. Pauli von der Pandemie betroffen ist. Derzeit plant er, den Betrieb langsam wieder aufzunehmen. M omentan herrscht bei uns im Club eine gewisse Aufbruchsstimmung. Bis zum 31. August haben wir noch geschlossen, das gibt uns Planungssicherheit für den Sommer. Danach wollen wir unter Corona-Bedingungen wieder öffnen. Wir werden den „Nochtspeicher“ wie einen Jazzclub mit Tischen und Lämpchen gestalten, um den zum 1. Juli verhängten Auflagen zu genügen. 50 bis 60 Gäste fänden so Platz auf un- serer 185 Quadratmeter großen Fläche. Eine bestuhlte Variante ergibt rechnerisch mehr Sinn. Bei einem Stehkonzert dürften wir nur 16 Personen einlassen – ohne Alkoholausschank. Mit sogar nur acht. Den viel zitierten Begriff „Neustart“‟ finde ich für diese Teilöffnung aber ungeeignet. Neustart hieße, dass wir sowohl beim Programm als auch beim Publikum wieder auf volle Auslastung gehen können. Das wird aber erst der Fall sein, wenn wir einen Impfstoff oder einMedikament haben. Der ab September geplante reduzierte Betrieb wird über eine Fehlbedarfsförderung finanziert. Sprich: Das, was wir mit diesen „Corona-Konzerten“ verdienen, wirdmit denMonatseinnahmen des ver- gangenen Jahres verglichen. Die Differenz über- nimmt der Staat, wobei etwa 20 Prozent vom Land Hamburg und 80 Prozent aus Bundesmitteln stam- men sollen. Es geht aber aktuell weniger darum, Ge- winn zu machen, sondern vielmehr darum, Kultur- produktion wieder zu ermöglichen und die Akteure aus der Veranstaltungswirtschaft in ihre Arbeit zu- rückzuholen. Die Musikszene ist als kreative Bran- che in der derzeitigen Krise besonders gefragt, un- konventionelle Ideen zu entwickeln. Das gilt auch für Freiluftkonzepte im Sommer. Mit dem Club- kombinat Hamburg sowie der Clubstiftung, für die ich mich engagiere, setzen wir uns für die Belange der Spielstätten ein und sondieren in enger Koope- ration mit der Kulturbehörde, welche Outdoorare- ale für Konzerte und Events genutzt werden könn- ten. Die Überlegungen reichen vom Autokinoge- lände in Steinwerder über die Rollschuhbahn in Planten un Blomen bis hin zu einer Fläche bei den Messehallen. Sorge bereitet mir, ob sich mittel- und langfris- tig überhaupt noch überregionale Touren realisie- ren lassen. Ob internationale Bands also in der Lage sein werden, innerhalb Deutschlands genügend Auftrittsmöglichkeiten zu finden. Zum einen hat jedes Bundesland andere Corona-Regeln. Zum an- deren befürchte ich, dass es viele Musikclubs bald einfach nicht mehr gibt. Eine explizite Clubförde- rung existiert nur in Berlin, Köln und Hamburg. Es wird daher eine große Aufgabe des Bundes sein, die Spielstättenstruktur imgesamten Land zu erhalten. Positiv gespannt bin ich auf das Reeperbahn Festival, das vom 16. bis zum 19. September pande- miegerecht über die Bühnen gehen soll. Hamburg könnte da Modellcharakter erlangen, wie eine dezentrale Veranstaltung in diesen Zeiten ablaufen kann. Bei all diesen Plänen müssen wir aber immer die Entwicklung der Fallzahlen im Blick behalten, vor allem nach den Ferien. Denn: Niemand möchte zumSuperspreader-Event werden. Tino v. Twickel ist künstlerischer Leiter der Musik- clubs „Nocht- speicher“ und „Nochtwache“ auf St. Pauli, wo er für Booking und PR verantwort- lich ist. Zudem engagiert er sich ehrenamtlich in den Vorständen der Verbände Clubkombinat Hamburg und Clubstiftung. Zuvor betreute er unter anderemdie Bands „Rhonda“ und „Cäthe“ als Manager.

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