Juni/Juli 2024

ALEXANDRA BISHOP ist seit März 2022 Ge- schäftsführerin von AstraZeneca Deutschland. Von 2018 bis 2022 lei- tete sie das Unter- nehmen in den Niederlanden. Bishop hat einen Abschluss in Bio- chemie und Gene- tik sowie postgra- duale Abschlüsse in den Bereichen Business Leader- ship und Business Finance. Sie hat in vielen Ländern gelebt und gear- beitet, darunter in Südafrika, Frank- reich, der Schweiz, Polen, Ägypten und zuletzt in den Niederlanden. ASTRAZENECA zählt mit einem weltweiten Jahres- umsatz von 45,8 Milliarden US-Dol- lar und 89 900 Mitarbeitenden (2023), davon 1200 in Deutsch- land, zu den in- führenden Arz- neimittelherstel- lern. Der Konzern konzentriert sich auf Onkologie, seltene Krankhei- ten und Biophar- mazeutika, etwa für Herz-Kreislauf-, Nieren- und Stoff- wechselerkrankun- gen. Produziert werden die Medi- kamente an 27 Or- ten in 16 Ländern. 178 Projekte sind weltweit in der klinischen Entwick- lung, 2023 inves- tierte AstraZeneca 10,9 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung von Arzneimitteln. Alexandra Bishop, Deutschland-Chefin des Arzneimittel-Herstellers AstraZeneca, spricht über Chancen und Risiken ihrer Branche, die Arbeits- kultur ihres Unternehmens und seine Nachhaltigkeitsstrategie. HW: Frau Bishop, die Gesundheitswirtschaft boomt. Wie ist sie aus Ihrer Sicht aufgestellt? Alexandra Bishop: Angesichts einer wachsenden und alternden Bevölkerung ist es verständlich, dass der Bedarf an Gesundheitsversorgung steigt. Für vie- le Länder ist Gesundheit daher strategische Priori- tät. UmdiesemBedarf gerecht zu werden, wächst die deutsche Gesundheitsbranche entsprechend. Astra- Zeneca ist das größte Pharmaunternehmen in Nord- deutschland, und wir sind sehr stolz auf den Beitrag, den wir leisten. Doch wir sind nur ein Teil der Ge- sundheitsbranche in Hamburg neben vielen großen Krankenhäusern, Universitätskliniken, Medizinpro- dukteherstellern und einer lebhaften Start-up-Sze- ne. Zudem haben die DAK-Gesundheit und die Tech- niker Krankenkasse hier ihren zentralen Sitz. Damit sehen wir hier optimale Bedingungen für uns. Astra- Zeneca ist seit den 1960er-Jahren in Norddeutsch- land ansässig. Hamburg ist einwunderbarerOrt zum Leben und wirtschaftlich sehr stark. Das erleichtert es uns unter anderem, Talente zu gewinnen. Der Fachkräftemangel ist für Sie kein Problem? Natürlich gibt es einen Wettbewerb um die besten Köpfe. Und Wettbewerb führt zu Innovationen und guten Lösungen. Das gilt auch für die Reputation als Arbeitgeber. Ich freue mich, dass wir einen hervor- ragenden Ruf haben. Unser Employer Branding lau- tet „#Made for more“, und daran glauben wir fest. Wir haben eine starke Talentstrategie, umdie Besten in Deutschland zu AstraZeneca zu holen und zu hal- ten. Und wir sind ein sehr attraktiver Arbeitgeber. Die Talente kommen zu uns, weil sie wissen, dass wir eine starke Pipeline mit derzeit 182 Forschungspro- jekten haben und sie hier für innovative Produkte und gute Patientenversorgung arbeiten können. Ein solches Umfeld zieht an. Ein wichtiges Fundament für das Entwickeln kreativer Lösungen sind Diversi- tät und Inklusion. Weltweit sind bei uns 50,1 Prozent aller Führungspositionen von Frauen besetzt. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen? Ich rede lieber von Chancen als von Herausforderun- gen. Durch die demografische Entwicklung wird Deutschland immer älter. Deshalb sollten wir uns in der Gesundheitsversorgung verstärkt auf Präventiv- maßnahmen konzentrieren und weniger auf das, was wir als Krankenversorgung bezeichnen. Je besser dies 28 PERSÖNLICH ALEXANDRA BISHOP HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE dem Gesundheitssystem und uns gelingt, desto gesünder wird die Bevölkerung. Wenn ältere Menschen länger fit bleiben, ist dies wirtschaftlich wie gesellschaftlich nur gut. Das ist eine riesige Chance. Unser Anspruch ist es, voranzugehen. Wir wollenMedika- mente anbieten, die Patient:innen den bestmöglichenNutzen brin- gen! Zu den Herausforderungen zähle ich die Bürokratie, die in Deutschland sehr ausgeprägt ist. Da gibt es Bereiche, die uns bremsen. Weniger Bürokratie würde also zu mehr Tempo, mehr Investitionen und besseren Ergebnissen führen. Zum anderen muss die Gesundheitsversorgung stärker als Priorität, als gesell- schaftlicher Faktor und alsWirtschaftsmotor gesehenwerden. AstraZeneca kennen viele als Produzent des Vektorimpf- stoffes gegen den Coronavirus… Wir haben weltweit mehr als drei Milliarden Dosen des Vakzins in über 180 Länder ausgeliefert, während der Pandemie zum Selbstkostenpreis. Nach unabhängigen Studien hat unser Impf- stoff allein 2021 weltweit über sechs Millionen Leben gerettet. Aber unser Portfolio ist weit größer als Impfstoffe. Wir entwi- ckeln und produzieren verschreibungspflichtige Medikamente in den Bereichen Onkologie, Herz-, Kreislauf-, Nieren-, Stoff- wechsel- und Atemwegserkrankungen, als Schutz gegen Infek- tionskrankheiten bei gefährdeten Patient:innen sowie gegen seltene Erkrankungen. Wir haben 2023 rund 10,9 Milliarden US-Dollar in die Erforschung und Entwicklung von Arzneimit- teln investiert. Und wir beschäftigen uns sehr intensiv mit der Frage, wiewir vermeidbare chronische Erkrankungen früher er- kennen und verhindern können. Nehmen wir als Beispiel die Niere. Wenn wir die Diagnoserate erhöhen und eine Nieren- erkrankung frühzeitig mit sehr einfachen Methoden erkennen, könnenwirmitMedikamenten therapierenund dieNiere länger gesund erhalten, sodass zum Beispiel eine Dialyse bei betroffe- nen Patient:innen umbis zu 13 Jahre verzögert werden kann. Wie relevant sind klinische Studien auf diesemWeg? Sie sind sehr wichtig, damit Patient:innen frühzeitig neue Thera- pieoptionen erhalten. Leider verliert Deutschland hier seine Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland war einmal weltweit bei kli- nischen Studien auf Rang zwei, inzwischen belegt es nur noch den siebten Platz. Andere Länder haben also erkannt, wie wichtig Studien für Wirtschaft, Wissenschaft und Innovation sind, und habenProzesse verbessert, ummehr Investitionenund Innovatio­ nen imGesundheitswesen ins Land zuholen. Mit der neuenPhar- mastrategie und dem Entwurf für das Medizinforschungsgesetz gibt es nun aber gute Pläne, umdenRahmen für klinische Studien auch inDeutschland zu vereinfachen. Dabei geht es umklare Rah- menbedingungen, eine Vereinfachung der Genehmigung durch Ethikkommissionen, Musterverträge, die Patientenidentifizie- rung und den Umgang mit digitalen Daten. Wir sind nun ge- spannt, wie die Vorschläge zumWohle aller umgesetzt werden. Unzufrieden sind die Pharmahersteller dagegen mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, da es ihnen die Moneta- risierung neuer Medikamente erschwert. Diese sollen oft nicht mehr als der Referenzstandard kosten dürfen. In der Tat. Wir hatten nicht das Gefühl, dass unsere Einwände und die negativen Auswirkungen auf die Verfügbarkeit innova- tiver Medikamente ausreichend gehört wurden. Mit diesem Gesetz wurde die wirtschaftliche und strategische Bedeutung der Pharmaindustrie ignoriert und eine große Unsicherheit ge- neriert. Innovationen, Verbesserungen der Gesundheitsver- sorgung und Patientennutzen werden nicht ausreichend gewürdigt, und der Beitrag der Pharmaindustrie für die Gesell- schaft wird nicht anerkannt. Erst jetzt, fast zwei Jahre später, fangen die Diskussionen an, und sogar der zuständige Minister Karl Lauterbach nennt die Pharmaindustrie eine Schlüsselin- dustrie für Deutschland. Wichtiger aber noch ist, dass wir als Konsequenz des Gesetzes Fehlentwicklungen in der Versor- gung sehen, die sehr besorgniserregend sind. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass Anpassungen und Änderungen in der Gesetzgebung vorgenommen werden, um einen vorhersehba- ren Rahmen zu schaffen, der Innovationen für die Gesund- heitsversorgung belohnt. Aber unser Gesundheitssystem muss bezahlbar bleiben ... Was soll ich dazu sagen? Die Debatte über die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens wird seit vielen Jahren geführt. → 29 PERSÖNLICH ALEXANDRA BISHOP WWW.HK24.DE

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz