Juni/Juli 2024

Als Kammer müssen wir uns natürlich auf das Gesamtinteresse der Wirtschaft konzentrieren. Aber ich sehe tatsächlich große Gefährdungen für unsere Demokratie und unseren Sozialstaat, der Entfaltungsfreiheit garantiert und den Einzelnen in den Mittelpunkt stellt. Das zu erhalten, muss unser aller Aufgabe sein. Das fängt an mit der Europawahl im Juni. Europa ist für mich unverzichtbar. Es ist wichtig, dass die demokratischen Kräfte in Europa gestärkt werden, dass die Einheit Europas wei- terentwickelt wird. Bei aller Kritik, die man natürlich an der europäischen Bürokratie haben kann. Auch die Bezirkswahlen sollten wir nicht unterschätzen. In den Bezirken werden maß- gebliche Entscheidungen getroffen, etwa zu Baugenehmigun- gen. Ich kann nur jeden auffordern, zur Europawahl zu gehen und dabei auch die Bezirkswahlen ernst zu nehmen. Und die Bürgerschaftswahl am 2. März 2025 wird eine Richtungswahl werden, die bundesweit maßgeblichen Einfluss haben wird. Was heißt das für uns als Handelskammer? Welche The- men werden bei den Wahlen entscheidend sein? Die Herausforderung durch den Klimawandel ist eine zentrale Frage für die Gestaltung unserer Zukunft. Die Verbindung von Wettbewerb und Klimaschutz ist für uns eine ganz wichtige, auch ökonomische Klammer. Wenn wir Geschäftsmodelle ent- wickeln, die wir auch verkaufen können, dann tun wir gleichzei- tig eineMenge für den Klimaschutz, für unsere Gesellschaft und für unsere Stadt. Unser Kongress mit der Europäischen Kom- mission und Frau von der Leyen hat deutlich gezeigt, dass wir auch in Hamburg bis 2040 klimaneutral werden können, dafür aber die Unternehmen und die Politik überzeugen müssen, mit uns diesenWeg zu gehen. Das zweite Thema ist Künstliche Intel- ligenz, die maßgeblich den Wirtschaftsprozess steuern wird. Auch das Thema Mobilität wird immer wichtiger. Wie ordnen wir uns da als Kammer ein? Was können wir tun? Als Kammer müssen wir auch aufzeigen, welche Chancen wir in Zukunft ha- ben, ob bei erneuerbaren Energien, KI oder Fachkräften. Das ist insgesamt ein langfristiger Prozess, der nicht abhängig sein darf von kurzfristigen Entscheidungen in der Politik. Was muss in Hamburg getan werden, um die richtigen Weichen für die Wirtschaft zu stellen? Wie schon gesagt, wir brauchen bessere Rahmenbedingungen, aber auch Investitionen in die Zukunft. Wir haben ja schon in der Jahresabschlussveranstaltung der VEEK Sonderinnovati- onszonenmit weniger bürokratischenHemmnissen sowie eine Innovationsmilliarde vorgeschlagen, um Neues entwickeln zu können. Ich setze da sehr auf die Wissenschaft und ihre Ver- bindung mit der Wirtschaft. Die Wissenschaft hat gute Lösun- gen, die zur Verfügung gestellt werden müssen, damit sie von der Wirtschaft umgesetzt werden können. Deine Forderung nach einer Innovationsmilliarde hat ja ei- nige Wellen geschlagen. Aber noch ist nichts passiert. Ich glaube, es wird entscheidend sein, dass wir das auch zum Bürgerschaftswahlthema machen, weil es ein richtungs- weisendes Thema ist. Das Problem ist natürlich, dass Inno- vationspolitik nie so massenwirksam ist wie Staus oder Anwohnerparken. Wie ändern wir das? Wir kommen um die Diskussion nicht herum. Das ist ein The- ma der gesamten Gesellschaft. Eine gesunde gesellschaftliche Entwicklung beginnt mit einer qualifizierten Aus- und Weiter- bildung in Schule und Universität. Wenn wir eine zukunftsfä- hige und innovative Wirtschaft wollen, dann müssen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Viele sagen ja beim Thema Hafen: „Das ist von gestern. In- novation ist was anderes. Wir wollen in Köpfe statt in Con- tainer investieren“. Was hältst du davon? Der Hafen ist für Hamburg unverzichtbar! Es geht darum, wel- che Wertschöpfung wir im Hafen schaffen. Schon immer wer- den dort Waren umgeschlagen, hergestellt, veredelt oder wei- terentwickelt. Unser Hafen ist eines der größten zusammenhängenden Industriegebiete Europas. Dort können sich neue Unternehmen ansiedeln, die sich mit erneuerbarer Energie befassen und als Folge daraus entwickeln. Oder die An- siedlung eines Elektrolyseurs oder anderer neuer zukunftsge- 14 HAMBURGER-WIRTSCHAFT.DE IM PODCAST NORBERT AUST richteter Technologien. Auf den Containerum- schlagkönnenwirnicht verzichten.DieAusrichtung als Universalhafen ist eine der größten Stärken un- seres Hafens, aber diese muss weiterentwickelt und zukunftsfähig gemacht werden. Was müsste hier aus deiner Sicht geschehen? Der Hafen hat ein Flächenproblem. Wir brauchen Flächen, damit sich neue Industriebetriebe ansie- deln können. Und vielleicht ist es auch sinnvoll, den Hafen in RichtungWesten ganz neu zu ordnen, auch im Sinne einer zukünftigen Stadtentwicklung. Die Westerweiterung wird schon lange diskutiert, ich glaube nur, man muss das grundsätzlich angehen. Vor allem müssen wir aber endlich auch mal groß denken, und nicht immer nur versuchen, in kleinen Schritten voranzukommen. Die Handelskammer und der Unternehmens- verband Hafen Hamburg haben ja vorgeschla- gen, auch den ehemaligen mittleren Freihafen großflächig zu entwickeln. Ja. Fläche im Hafen kann man schaffen, wenn man zum Beispiel nicht mehr genutzte Hafenbecken zu- schüttet. Auch das Mühlenberger Loch war ja eine Infrastrukturmaßnahme und ist heute mit Airbus eine große Erfolgsstory. So etwas könnte man im Herzen des Hafens erneut versuchen. Hier haben wir die einmalige Möglichkeit, in wirklich großem Maßstab auf der grünenWiese zu planen und damit auch interessante Investoren nach Hamburg zu lo- cken. Die Möglichkeiten, die dieses Areal bietet, sind vielfältig: von einem neuen Container- oder Multipurpose-Terminal bis hin zu innovativen An- siedlungen aus dem grünen Bereich. Aber wir → NORBERT AUST (81) hat Jura und Volkswirtschaft in Hamburg studiert. Ab 1970 war er an der Hochschule für Wirtschaft und Politik tätig – zu- nächst als wissen- schaftlicher Mit- arbeiter, dann als Rektor und von 1980 bis 1992 als Präsident. Dort richtete er den Studiengang „Kultur- und Bildungsmanage- ment“ ein. Für die Kultur engagierte er sich auch als Vorstandsvorsit- zender des Kamp- nagel-Trägerver- eins (1989–1991) und als Mitgründer der Schmidt-Büh- nen. Von 2013 bis 2020 leitete er den Tourismusver- band Hamburg e.V., seit 2019 ist er Mitbetreiber des PIERDREI-Hotels HafenCity. Aust ist stellverterender Aufsichtsratsvor- sitzender der Hamburg Marke- ting GmbH. 2020 wurde er zum Präses der Handels- kammer gewählt und 2024 in die- sem Amt bestätigt. Wir fördern die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Sie möchten in Technologiefeldern wie Gesundheit, Energie oder Mobilität neue Produkte und Lösungen entwickeln? Beantragen Sie jetzt eine Förderung in unserem Programm PROFI Transfer Plus und sichern Sie sich einen Zuschuss von bis zu 2 Millionen Euro! SPRECHEN SIE UNS AN: Tel. 040 / 24846-566 · www.ifbhh.de innovationsagentur@ifbhh.de INNOVATIONEN REALISIEREN MIT PROFI TRANSFER PLUS WIR FÖRDERN HAMBURGS ZUKUNFT

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz