Juni/Juli 2023

Ist das weitgehende Aus der EU für Verbrennungsmotoren verfrüht? Ein Verbot ist unsinnig Hanspeter Tiede (55), Geschäftsführer LOTHER GRUPPE (NORDOEL) Ja, natürlich, das ist verfrüht, und ein Verbot ist auch unsinnig. Denn es ist nicht der Verbrennungsmotor, der schädlich für unsere Atmosphäre ist, sondern die darin verbrannten fossilen Treibstoffe. Es gibt hervor­ ragende klimaneutrale synthetische Treibstoffe für Verbrennungsmotoren als Ergänzung zur Elek­ tromobilität. Die ideologische Argumentation, diese synthetischen Treibstoffe seien „zu teuer“ und „zuwe­ nig effizient“, blenden aus, dass die Technologie in den nächsten Jahren noch riesige Entwicklungsschritte machen wird und es Gegenden in der Welt gibt, in der die regenerativeEnergie imÜberfluss vorhanden ist. Nur als Beispiel: In der afrikanischen Wüste (Sonne) oder Kap Hoorn (Wind) ist Erneuerbare Ener­ gie in quasi unendlicher Menge vorhanden, und auch das CO2 gibt es überall auf der Welt in der Luft und kann herausgefiltert werden. Die Produktion von E- Fuels funktioniert schon heute tadellos, und mit der zukünftigen Technik wird der Liter E-Fuel kurzfristig unter zwei Euro und auf Sicht unter einem Euro kos­ ten. Und jedes der derzeit 1,8 Milliarden Autos welt­ weit kann diesen Treibstoff klimaneutral mit dem vorhandenen Motor fahren, weil nur das CO2 genutzt wird, das zuvor demE-Fuel beigefügt wurde. Wir als LOTHERGRUPPE sind derzeit anmehre­ ren Projekten zur Produktion von klimaneutralen Treibstoffen in Europa, in Südamerika und in Afrika aktiv beteiligt und sind auch in ein großartiges For­ schungsprojekt involviert, bei dem sich die besten deutschen Ingenieure aus der Automobilwirtschaft, dem Anlagenbau und der wissenschaftlichen For­ schung zusammengefunden haben, um den deut­ schen Wissensvorsprung bei E-Fuels weiter auszu­ bauen. Die Weichen sind gestellt: E-Fuels werden kommen, auf jeden Fall für Flugzeuge und Schiffe – und bestimmt auch für Pkw. 2035 ist nicht zu früh Marco Schlüter (55), Chief Operations Officer Hermes Germany GmbH Zu früh? Eine Änderung, die 2035 in Kraft tritt? Wohl kaum. DemWeltklimarat zufolge ist dieses Jahrzehnt entscheidend für unsere Zukunft. Elfeinhalb Jahre sind daher eigentlich zu lang. Doch mit Blick auf die noch zu lösenden Herausforderungen, um die bereits eingeläutete Energiewende mit der Umstellung auf alternative Antriebeweiter voranzubringen, wirkt der Zeitraum wiederum sportlich. Wir dürfen nicht ver­ gessen: Die EU-Verordnung betrifft erst einmal Pkw und leichte Nutzfahrzeuge – dies ist nur einer von vielenBausteinen, umEmissionen zu reduzieren. Um die Pariser Klimaschutzziele noch erreichen zu können, muss die Antriebswende imVerkehrssek­ tor insgesamt ambitioniert vorangetrieben werden. Dafür braucht es innovative Konzepte und Ideen. Hier sind wir alle gefordert, privat wie beruflich. Als Paketdienstleister arbeiten wir bei Hermes Germany beispielsweise konsequent an der Elektrifizierung unserer Fahrzeugflotte, um die emissionsfreie Zu­ stellung weiter voranzutreiben. In Hamburg wollen wir beispielsweise bis Ende des Jahres die gesamte Stadt ohne CO2-Ausstoß auf der letzten Meile mit E- Transportern und Cargobikes beliefern. Aber auch die Politik ist bei dieser Aufgabe gefor­ dert: Mit dem Gesetz zum Verbrenner-Aus stellt die EU die Weichen in Richtung Elektromobilität, aber dafür braucht es hierzulande bis 2035 auch eine ent­ sprechende Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge. Da­ bei muss bereits über den privaten Nutzungsbereich hinausgedacht werden: Wir bekommen bei Hermes Germany schon jetzt zu spüren, dass es an einer be­ lastbaren öffentlichen Ladeinfrastruktur fehlt, die auch für die gewerbliche Nutzung zur Verfügung steht. Hierfür müssen wir derzeit selbst Lösungen finden. Die Herausforderungen sind groß, die Zeit jedoch drängt. Es ist mehr als fünf vor zwölf! Nicolaus Otto war Mitte des 19. Jahr- hunderts auf der Suche nach einer frei verfügbaren, von Wasser, Wind und Leitungsver- bindungen unab- hängigen Energie, die den Menschen neue Bewegungs- freiheit gab. Er war fasziniert vom Gasmotor Étienne Lenoirs. Allerdings war dessen Gas- verbrauch zu hoch. Nach vielen Experimenten mit einem kleinen Le- noir-Modell und diversen Änderun- gen brachte Otto schließlich das Viertaktverfahren – Ansaugen, Ver- dichten, Arbeiten, Ausschieben – zum Laufen. Der von ihm erfunde- ne Benzinmotor erlangte durch Wilhelm Maybach und Gottlieb Daimler um 1885 die Serienreife. FRANK SCHLATERMUND WWW.HK24.DE 51 FOTOS: AURELIO SCHREY, HERMES GERMANY PRO & KONTRA

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