Juni 2020

HAMBURGER WIRTSCHAFT 44 AUFGEZEICHNET VON BIRGIT REUTHER; FOTOS: BERND JONKMANNS Mein Corona- Tagebuch In der letzten HW schilderte Clubbetreiber Constantin „Tino“ von Twickel seine ganz persönliche Corona-Krise. Bis Ende des Jahres beschreibt er weiter, wie er mit den aktuellen Herausforderungen umgeht. W ährend der vergangenen Wochen hatte ich sehr intensive lange Tage mit wenig Schlaf. Ich war zu großen Teilen damit beschäftigt, all die Konzerte zu verlegen, die eigent­ lich in unserem Club stattgefunden hätten. Das heißt: Ich spreche viel mit Musikern und Veran­ staltungsagenturen. Die Frage ist zum Beispiel, wann internationale Künstler wieder reisen dürfen. Gleichzeitig kommen auch schon wieder neue Buchungen für Shows hinzu, sogar bis Herbst 2021, da alle irgendwie planenmüssen undwollen. Da es gerade keine klaren Ansagen der Politik gibt, setzen wir uns selbst zeitliche Markierungen, umTermine organisieren zu können. Ich persönlich rechne momentanmit dem 1. September als Datum, an dem wir den Club – zumindest für kleinere Veranstaltungen – wieder öffnen. Wir entwerfen bereits Szenarien, wie entsprechende Sicherheits­ konzepte aussehen könnten. Und wir rechnen durch, ob es wirtschaftlich überhaupt Sinn ergibt, unseren Laden für reduzierte Besucherzahlen auf­ zumachen. Wenig hilft uns da etwa ein Beschluss des Bundes, die Mehrwertsteuer in der Gastrono­ mie lediglich für Speisen von 19 auf 7 Prozent zu senken, aber nicht für Getränke. Das wird in Zukunft noch ein Thema werden. In unserem Büro auf St. Pauli sind wir gerade nur zu zweit. Unsere sechs Festangestellten sind in Kurzarbeit. Mein Kollege Daniel Zawistowski kom­ muniziert viel mit der Kulturbehörde, die 1,5 Millio­ nen Euro für Hamburger Musikclubs zur Verfügung stellt. Unser Antrag läuft. Wir haben für den Betrieb von „Nochtspeicher“ und „Nochtwache“ zudem ei­ nen Förderkredit von der Hamburger Investitions- und Förderbank erhalten. Ich kann aber nur immer wieder betonen, dass es sich jeweils um Nothilfen handelt, um uns über Wasser zu halten. Momentan haben wir alles heruntergefahren, vor allem den Stromverbrauch, um Kosten zu minimieren. Und unser Vermieter hat uns unsere Miete gestundet. Dennoch haben wir derzeit rund 20000 Euro Aus­ gaben im Monat, also etwa die Hälfte der üblichen Kosten. Dieser Betrag kommt unter anderem durch den Arbeitgeberanteil bei der Kurzarbeit zustande. Eine Menge Zeit investiere ich momentan zu­ dem in das Clubkombinat Hamburg sowie in die Clubstiftung, wo ich jeweils zum Vorstand gehöre. Wir entwickeln Medienkampagnen, um auf die dramatische Lage der Spielstätten aufmerksam zu machen. Zudem beraten wir unsere Mitglieder zur Corona-Krise und haben das Online-Musik-Format „United We Stream“‟ von Berlin nach Hamburg geholt. Und wir haben mit „Save Our Sounds“‟ eine Solidaritätsaktion ins Leben gerufen, bei der bis AnfangMai 174000 Euro eingegangen sind. Das Geld soll so schnell wie möglich an Clubs in Not ausge­ schüttet werden, allerdings müssen wir noch einige steuerrechtliche Fragen klären. Wir arbeiten an immer neuen Modellen, um den Spendern auch etwas zu bieten. Zu Beginn haben wir als Dankeschön bereits mehr als 1000 Club-Bandanas verschickt, die sich auch als Mund- Nasen-Schutz umfunktionieren lassen. Im Mai haben wir eine Kooperationmit der Drogeriemarkt­ kette Budni und Fritz Kola gestartet: Für 20 Euro gibt es eine Brause und ein Soli-Shirt. 10 Euro gehen an „Save Our Sounds“‟. Ich habe das Gefühl, die Leute wollen etwas anfassen, das sie an das Ausgeh­ leben erinnert. Ich frage mich ohnehin, warum Kultur nicht als systemrelevant eingestuft wird. Wir sind es doch, die den Menschen Inspiration und Kraft geben – gerade in Zeiten von Corona. Constantin „Tino“ von Twickel ist künstlerischer Leiter der Musik- clubs „Nochtspei- cher“ und „Nocht- wache“, wo er für Booking und PR verantwortlich ist. Zudem engagiert er sich ehrenamt- lich in den Vorstän- den der Verbände Clubkombinat Hamburg und Clubstiftung. Zuvor betreute er unter anderem die Bands „Rhonda“ und „Cäthe“ als Manager.