Juni 2020
HAMBURGER WIRTSCHAFT 34 FOTOS: MICHAELA KUHN, LICHT FORM ARTE/KONTRAPUNKT GMBH KONTROVERS DISKUTIERT Sollte das Homeoffice auch nach dem Lockdown verstärkt die Präsenzpflicht ersetzen? PRO KONTRA Einen Anspruch auf Homeoffice haben Mitarbeiter nicht. Ist nichts anderes verein- bart, liegt die tägliche Arbeits- zeit zu Hause in der Regel bei höchstens acht Stunden. Mehr Informationen in der HW-Ausgabe April/Mai 2020 ab Seite 26 unter www.hamburger- wirtschaft.de Homeoffice war bei uns schon immer möglich Teja Töpfer (45) Co-Founder & COO Facelift brand building technologies GmbH In vielen Unternehmen der IT- und Software branche ist Homeoffice und damit einhergehend eine „abgemilderte“ Präsenzpflicht auch vor dem Lockdown bereits fester Teil des Arbeitsalltags gewesen. So auch bei Facelift. Allerdings ist Home- office bei uns trotzdemeher die Ausnahme. Was neu ist: Durch den Lockdown konnten wir (positiv ausgedrückt) einen unfreiwilligen Belas- tungstest für Homeoffice durchführen. Aus betrieb- licher Perspektive verlief er reibungslos, die Schnittstellen zwischen den Bereichen und auch nach extern bewährten sich und funktionierten komplett unabhängig von einem physischen Büro. Vorteilhaft für uns ist, dass wir bereits ausschließ- lich Cloud-Dienste für die Betriebsprozesse nutzen. Eine Herausforderung besteht darin, die Mitar- beiterführung komplett virtuell zu organisieren. Das gelingt über Video Conferencing zwar deutlich besser als vermutet, doch ist die Einarbeitung von neuen und auch jüngerenMitarbeitern ohne Berufserfahrung er- schwert. Gerade sie benötigen ein lebendiges Bezie- hungsgeflecht, um in das Unternehmen hineinzu- wachsen. Hier werden wir auch in Zukunft nicht um eine Präsenzpflicht herumkommen, damit diese Mit- arbeiter vonanderenmitmehrErfahrungprofitieren. Wir denken, dass sich die Präsenzzeit bei 60 bis 70 Prozent der Arbeitszeit einpendelt, wobei es auch Abweichungen je nach individueller Persönlichkeit und Art der Aufgabenstellung geben wird. Spannend wird die Auswirkung auf dieNutzung der Bürofläche: Wir sind bereits am evaluieren, wie wir mit gleicher Fläche deutlich mehr Mitarbeiter bei gleicher Pro- duktivität undZufriedenheit beschäftigen können. Kein Homeoffice als Regelfall Stefan Rössle (56) Live-Specialist und Managing Director Kontrapunkt Agentur für Kommunikation GmbH Die persönliche Begegnung, der direkte Austausch von Menschen, emotional und „live“, ist der Kern unserer Arbeit als Kommunikationsagentur. Wir sind Teammenschen und Live-Junkies. Das Arbei- ten im Homeoffice steht im krassen Gegensatz zu dem, was wir versuchen in den Fokus unseres täg lichen Outputs zu nehmen: die Kreation von Gemeinschaftserlebnissen, die Botschaften und Momente verstärken, weil man sie eben in der Gruppemit Gleichgesinnten erleben kann. Das Ringen um die beste Idee, der Austausch im Kreativprozess, die Kontroverse sind essenzieller Be- standteil unsererArbeit. Das braucht das Erlebenvon Emotionen. Ich muss dem Widersacher in diesem konstruktiven Kampf in die Augen schauen können, muss spürenkönnen, was er denkt, was ihnbewegt. Und wenn es in die Planung geht, dann setzen wir konsequent auf „Schwarmintelligenz“ unseres Teams. Es gibt immer noch den einen Tipp, wieman diese oder jene Klippe umschiffen kann. Und diese Tipps entstehen, weil wir zusammensitzen, weil wir uns direkt austauschen. Unsere „Miteinander-Kultur“ ist nicht darauf angelegt, sich nur in ein sin- guläres Projekt zu verkriechen und dieses höchst- möglich effizient abzuarbeiten, sondern sich gegen- seitig zu helfen – für das beste Ergebnis. Es gibt Rückzugsräume, Denkoasen für die iso- lierten Arbeitsphasen. Aber eben auch den großen Flur, die offeneKüche, dasKreativlabor, indenen sich die Mitarbeiter versammeln und die Gemeinsamkeit im Arbeitsalltag genießen. Heimat ist ein zu großes Wort, aber das Büro, die Arbeit im Team ist ein Ort der Identitätsstiftung für uns und nicht zu ersetzen.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjI2ODAz