APRIL/MAI 2021

HAMBURGER WIRTSCHAFT 20 FOTOS: PILOT HAMBURG, SARAH KASTNER PRO & KONTRA Behindert der Datenschutz Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie? Bei der zunehmen- den Corona-Tes- tung in den Betrie- ben (siehe Seite 11) sind auch daten- schutzrechtliche Aspekte zu berück- sichtigen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver- bände hat Anwen- dungshinweise zum Umgang mit den Tests herausgege- ben und informiert darin unter ande- rem über die Frage „Sind die Melde- pflichten mit dem Datenschutz ver- einbar?“: www. hk24.de/corona- daten Generelle Infos zur Datenschutzgrund- verordnung finden Sie unter www. hk24.de/dsgvo . Wen schützt der Datenschutz eigentlich? Axel Strehlitz (53), Geschäftsführer Hamburger Access Technologies HAT GmbH (Corona FreePass) In jeder hitzigenDebatte hat sichbewährt, einmal auf die Motivation der Gegenmeinung zu schauen: Beim Datenschutz ging es seinen Urhebern zu Recht um die Sorge vor jeglichem Abgreifen unserer intimsten Informationen. Datenkraken wie Google und Face- book habenuns nachhaltig das Fürchten gelehrt. Bei Corona kämpfen gleich zwei starke und schützenswerte Interessen miteinander: Privat- sphäre gegen Gesundheit. Dabei wissen wir längst: Intelligente Lösungen könnten uns dabei helfen, Be- gegnungenwieder sicherer zumachen. Mit kostenlosen Bürgertests und deren digitaler Anbindung zur Kontaktnachverfolgung könnten alle wieder amLeben teilnehmen. Unsere ach so heiligen Daten unterstützten dabei die Identifizierung von In- fektionsherden. App-Anwendungen wie Corona FreePass oder luca schaffen also Sicherheit und ent- lasten unsere Gesundheitsämter. Doch dazu müss- tenwir einige unserer persönlichen Daten teilen, das ist der Preis für eine schnelle Rückkehr zumLeben. Wir haben die Wahl: Verzichten wir lieber weiter auf unser soziales, kulturellesundwirtschaftlichesLe- ben und verharren mittelalterlich im Lockdown, oder vertrauenwir einigeBewegungsdatendemStaat an? Die Diskussion erscheint manchmal geradezu hysterisch, zugespitzt könnte man sagen: Lieber ver- zichte ich auf mein Leben, als dass ich Abstriche am Datenschutz temporär und partiell zulasse. Diese Haltung muss ein Hohn für alle diejenigen sein, die pandemiebedingt Job, Existenz oder schlimmsten- falls einen geliebtenMenschen verlorenhaben. Drehen wir deshalb bitte den Spieß um und sa- gen: Die Dosis macht das Gift! Dann kann angemes- sener Datenschutz auch wieder das tun, wofür ihn seine Fürsprecher so vehement verteidigen: Unser aller Leben schützen! KeinNotstand erfordert eine Aufweichung Marcus Henschel (43), Geschäftsführer von Secion GmbH, führend im Bereich IT-Sicherheit Ich sehe durch den Datenschutz weder Tempo noch Effizienz der Corona-Maßnahmen irgendwie beein- trächtigt – zumindest, sofern er gewissenhaft ange- wendet wird wie im Fall der Warn-App, die erst dann massenhaft runtergeladen wurde, nachdem sie der Chaos Computer Club als unbedenklich laut DSGVO eingeordnet hatte. Da wirkte Datenschutz also eher beschleunigend auf neue Technologien. Privat nervt mich Datenschutz manchmal ebenso wie als Ge- schäftsführer einer Firma für IT-Sicherheit. Aber ge- rade in einer Pandemie, wo es umdie sensibelsten al- ler Daten – nämlich gesundheitliche – geht, ist er un- erlässlichundwird dennoch fahrlässig behandelt. Erst kürzlichwurde publik, dass 136.000 Tester- gebnisse samt persönlicher Daten wie Name, Ge- burtstag, Anschrift, gar Ausweisnummer öffentlich sichtbar waren. Das hätte definitiv besser geschützt werden müssen. Das RKI benötigt zwar mehr Infos über Testergebnisse als positiv oder negativ, wichtig zur Verarbeitung sind auch Dinge wie Alter und Vor- erkrankung. Aber die technische Abkopplung weite- rer Daten ist nicht nur möglich, sondern machbar. Schließlichhat dieDSVGOnur einenNotausgang zur Aushebelung des Datenschutzes: Paragraf 9, der die Datenverarbeitung zum Schutz lebensnotwendiger Interessen der betroffenen Person ohne deren Ein- willigung –wenngleich imEinzelfall – regelt. Gerade in einer Zeit, inder so vieleDaten zumGe- sundheitszustand vieler MillionenMenschen transfe- riert werden, muss Datenschutz demnach gestärkt, nicht aufgeweicht werden. Kein Notstand rechtfertigt es, diesen Kernbestand der informationellen Selbst- bestimmung aufzuweichen. Noch wichtiger ist aller- dings: Kein Notstand erfordert diese Aufweichung. Dafür gibt es weder eine rechtliche noch technische undschongar keinemoralischeNotwendigkeit.

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