April / Mai 2020
HAMBURGER WIRTSCHAFT 30 Industrie setzt auf Europa Spätestens seit Corona müssen sich Hamburger Produzenten noch besser gegen Ausfälle in der Lieferkette absichern. Die HW sprach mit drei Familien- unternehmen, die darauf mit unterschiedlichen Strategien reagieren. P rallt die Coronakrise langfristig an Ham- burgs Wirtschaft ab? Henning Fehrmann, in fünfter Generation geschäftsführender Gesellschafter der FEHRMANN GmbH, ist ruhig, aber besorgt: „Auch wenn die Auftragslage überwiegend stabil scheint, bereiten wir uns auf den Worst Case vor. Wir halten hohe Liquiditäts- reserven bereit, um Umsatzeinbrüche, Zahlungs- ausfälle und Verzögerungen bei Lieferanten zu kompensieren.“ Das 125 Jahre alte Familienunter- nehmen liefert weltweit Hightechprodukte wie monsterwellensichere Schiffsfenster und Sicher- heitsbauteile in Guss sowie in 3-D-Druck aus eigens entwickeltemSpezialaluminium. Beschaffte Henning Fehrmann bislang 30 Pro- zent der Vorprodukte in China, setzt er jetzt wegen der COVID-19-Pandemie ganz auf europäische Lie- feranten. Standardmäßig gibt es bei den Wilhelms- burgern eine Zwei-Lieferanten-Strategie. „Trotzdem gehen wir davon aus, dass es in den nächsten Wo- chen zu Lieferausfällen kommt“, sagt der 45-jährige Geschäftsführer. „Entsprechend bauen wir Dritt- und Viertlieferanten auf.“ Dafür wolle er nun lokaler sourcen und habe großes Vertrauen in den deut- schen Mittelstand. Höhere Materialpreise nimmt der Diplom-Wirtschaftsingenieur in Kauf: „Die Be- schaffung wird teurer, das wollen wir unseren Kun- den aber nicht berechnen.“ Fehrmann erwartet, dass die Preise mittelfristig wieder sinken und sich vorübergehendeMehrkosten kompensieren lassen. Tobias Knahl, Handelskammer- Abteilungsleiter Industrie, Energie, Umwelt: Die (Re-)Organi- sation von Liefer- ketten wird in den nächsten Jahren ein großes Thema sein. Auch die Politik wird hierbei eine aktive Rolle spielen, insbeson- dere bei system- relevanten Bran- chen. Letztlich geht es ummehr Nachhaltigkeit. Die Handelskam- mer unterstützt Betriebe bei die- sen Themen, zum Beispiel mit der Umwelt- und Res- sourcenberatung (www.hk24.de/ umweltberater) , dem 3-D-Druck- Netzwerk in der Metropolregion Hamburg (unter www.3d-druck hamburg.de ) und demMittelstand 4.0-Kompetenz- zentrumHamburg (kompetenz zentrum-ham- burg.digital) . Parallel treibt das Unternehmen den 3-D-Druck voran und hat unter anderem eine High-Perfor- mance-Aluminiumlegierung im Portfolio. 3-D- Druck hält Henning Fehrmann für einen „wesent- lichen Eckpfeiler“ eines jeden Produktionsunter- nehmens, das sich strategisch gegen Ausfälle in der Lieferkette absichern will. Derzeit befürchtet er, dass Hamburgs Wohlstand und Innovationskraft angesichts von Coronaschulden abrutschen könnte. Qualität, Innovation und Flexibilität sind auch für den Geschäftserfolg der FRISTAM Pumpen KG (GmbH & Co.) entscheidend. Das 1909 gegründete Familienunternehmen produziert mit weltweit 380 Mitarbeitern Edelstahlpumpen für Lebensmittel- industrie und Biotechnologie, in Hamburg gibt es 135 Beschäftigte. „Wir liefern vorwiegend an dieMol- kerei-, Pharma- und Kosmetikindustrie“, erläutert Joachim Friedsch, technischer Leiter des in Berge- dorf ansässigen Unternehmens und Urenkel des Fir- mengründers. Die Kunden benötigen zuweilen kurz- fristige Lieferungen – etwa eine Ersatzpumpe für eine Milchfabrik, die innerhalb von 72 Stunden be- nötigt wird, damit der Betrieb nicht stillsteht. Deshalb verfügt FRISTAM Pumpen stets über hohe Lagerbestände – laut Friedsch werden 40 bis 50 Prozent des jährlichen Vormaterialbedarfs bevorratet. In der Coronakrise erweist sich das als enormer Vorteil gegenüber der in vielen Industrie- zweigen verbreiteten Just-in-time-Produktion. Diese ist sehr anfällig, weil die Fertigung ohne Lager FOTOS WWW.MEDIASERVER.HAMBURG.DE ANDREAS VALLBRACHT, MARK SEELEN, PRIVAT 2
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